Nicht missionieren wollen sie die Dortmunder Nordstadt, sondern Räume und Strukturen nutzen. Dabei sich selbst und ihre Ideen verwirklichen – unabhängig und unkommerziell. Zwei neue kulturelle Initiativen bereichern seit diesem Jahr die polarisierende Gegend in der Nachbarstadt. Rekorder und Nordpol verbinden ein ähnlicher Grundgedanke und die Organisationsstruktur als gemeinnütziger Verein. Mit dem Rekorder hat sich inzwischen ein kleines Kulturangebot etabliert, der Nordpol ist auch ein Forum für linke Politik.
Samstagnachmittag, 15 Uhr: Zwei große Fenster an der Gneisenaustraße direkt gegenüber der Hafenschänke Subrosa stehen auf Kipp. Leise dringt Rap-Musik hinaus auf den Gehweg. Drinnen im unscheinbaren Lokal werkeln Rainer und Torre. Aufräumen, putzen, Technik, Bier kaltstellen – im Rekorder gibt’s immer viel zu tun für die Mitglieder des tOnbande e. V., der im Sommer die Eckkneipe mit Club-Keller bezogen hat. „Vor morgen früh um sieben komme ich hier nicht mehr raus“, sagt Torre. Es ist einer von vielen Tagen, an denen sich die jungen Männer mit Herzblut ihrem „Vereinslokal“ widmen. Ausnahmsweise steht heute eine Privatparty an: „Sowas machen wir eigentlich nicht. Das ist kein Partykeller, sondern der Rekorder“, erklärt Torre. Lachend erzählt der Master-Absolvent, dass er schon lange von einer eigenen Kneipe geträumt hat. Der Rekorder ist inzwischen viel mehr als das.
2012 als einmaliges Kunst-, Kultur- und Musikfestival gestartet, hat sich die „tOnbande“ zu einer festen Institution in der lokalen Szene entwickelt und ist seit Juli dieses Jahres ein eingetragener Verein zur Förderung der Dortmunder Kultur. Zu den neun aktiven Mitgliedern zählen Musiker, Autoren, bildende Künstler und DJs. „Weitere feste Mitglieder suchen wir nicht“, sagt Torre. Der entscheidungstragende Kern soll gleichbleiben. Doch, wie der Name schon sagt, gibt der Rekorder nicht nur wieder – als offener sozialer Raum nimmt er auch auf. Jeder kann seine Ideen einbringen und ist als helfende Hand willkommen. So haben inzwischen unterschiedliche Initiativen mit dem jungen Verein angebandelt und im Rekorder Platz für Projekte gefunden.
Vor BVB-Heimspielen kommen Fangruppen, um ihr erstes Bier zu trinken oder im Keller Banner zu basteln; zum Vinylstammtisch kann jeder seine Lieblingsplatten mitbringen; es gibt spontane Konzerte, regelmäßige Lesungen und Partys – am 6. Dezember z. B. in Kooperation mit den Urbanisten. „Dann sind die Bürgersteige draußen immer voll“, sagt Torre. Probleme mit den NachbarInnen gebe es kaum, erklärt Poetry-Slammer Rainer. „Man muss den Dialog suchen. Wenn sie dein Gesicht erstmal kennen, werden die meisten schon ruhiger“.
Expedition am Ziel
Die leerstehende Kneipe gegenüber ihres alten Stammlokals war ein absoluter Glücksgriff für die Nordstädter. Etwas aufwendiger gestaltete sich hingegen die Reise zum Nordpol. Anfang November ist die Polarexpedition an der Münsterstraße angekommen.
Anfang November eröffnet: Der Nordpol. Foto: dh
Samstagabend, 22 Uhr: Es ist warm und für eine Kneipe verhältnismäßig hell im schön renovierten Nordpol. Am Tresen tratschen ein paar Vereinsmitglieder, Tische und gemütliche Sitzecken sind fast vollständig besetzt. Die Atmosphäre wirkt beinahe ein wenig steril. Rauchen ist genauso verboten wie das Fotografieren. „Hier besteht eben auch mal ein Raum, wo man die Freiheit hat, nicht fotografiert zu werden“, erklärt Max vom Nordpol.
Aus der Initiative einer Hand voll Menschen heraus, die in Dortmund nicht kommerzielle Freiräume vermissen, ist vor rund zwei Jahren die Nordpol-Idee entstanden. Dank Spendenveranstaltungen und dem Engagement von inzwischen 60 Vereinsmitgliedern konnten die Pläne umgesetzt werden. Nach einigen Objektbesichtigungen genügten die Räume an der Münsterstraße den Ansprüchen. „Der Standort ist sehr zentral, die Münsterstraße eine der lebendigsten in Dortmund“, sagt Max.
Einen feministischen Tresen, politische Dokumentarfilme, Antifa-Café und Hip-Hop-Lounge wird das neue soziokulturelle Zentrum u. a. im Dezember anbieten. Wer den Nordpol unterstützen möchte, kann sich mit Zeit und kreativen Anregungen einbringen oder direkt Vereinsmitglied werden. Der Programmschwerpunkt liegt bislang auf politischen Veranstaltungen im linken Spektrum. Politik und Kultur seien sowieso untrennbar verbunden – grundsätzlich strebe der Nordpol einen ausgewogenen Veranstaltungsmix an, so Vereinsmitglied Max.
„In Dortmund tut sich viel – das ist eine spannende Zeit“, erzählt ein Gast, den es gerade aus Hamburg zurück in die Bierstadt zog. Die Nordpol-InitiatorInnen bleiben vorerst bescheiden: Sie möchten lediglich Veranstaltungen in angenehmer Atmosphäre anbieten, bei denen ihren Gästen nicht das Geld aus der Tasche gezogen wird. „Wir sind nicht die guten Studierenden, die Gentrifizierer, die mit Kultur die Nordstadt retten – wir nutzen das Potential des Viertels.“
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