Wenn man schon kein Pech hat, kommt auch noch Glück dazu – da sich der frischgebackene Gewinner der 17. deutschsprachigen Meisterschaften im Poetry-Slam, der Dortmunder Jan Philipp Zymny, derzeit vor Auftrittsanfragen kaum retten kann, musste der Gewinner von 2008 einspringen: Sebastian23 moderierte am vorvergangenen Sonntag den sehr gut besetzten dritten Song-Slam im „Kugelpudel“. Tags darauf legte der beliebte Bochumer mit der Moderation des fünften Campus-Slams an der RUB im einmal mehr rappelvollen KulturCafé nach. Mit seiner aktuellen Buchpublikation „Purer Unfug“ hält der Multikünstler bei solchen Anlässen zudem immer ein lesenswertes Präsent bereit.
„Anders als beim Poetry-Slam ist beim Song-Slam Musik erlaubt“, klärt der Slammer mit der unvermeidlichen Schiebermütze zu Beginn der seit Juli 2013 in der Eiscreme- und Cocktailbar Kugelpudel im Bochumer Ehrenfeld stattfindenden Veranstaltung auf. An diesem Abend ist er nicht nur hochkarätiger Ersatz-Moderator, sondern auch Tontechniker und Musiksatiriker: „Du hast mehr Maske auf als Sido und bist böser als Bushido“ – in seinem Auftakt-Song „Küss mich“ besingt der 34-Jährige, der nach eigener Aussage „in den 80ern von zwei Fernsehern großgezogen wurde“, einen gewissen Darth Vader und dessen inzestuöses Verhältnis zu einer imaginären Adressatin: „Ich kann Dich nicht küssen – ich bin Dein Vater! Und weißt Du, wen das freut? Meinen Psychotherapeut …“
„Wir verlier’n uns in verlor’ner Euphorie“
Von den insgesamt sieben Teilnehmenden müssen sich trotz konstant solider musikalischer Performance drei Musiker nach der Vorrunde verabschieden – darunter auch der RUB-Student Johannes Opfermann, der mit „Kopftuchverbot für Piraten“ den einzigen politsatirischen Akzent unter den Musik-SlammerInnen setzt. Die „guten Seiten des Lebens – wenn man sie denn noch hat“ besingt in seinem Song „Tanzen“ Dominic Lanfer als erster Finalist: „Wir vergessen alle Sorgen und verlier’n uns in verlor’ner Euphorie“, hallt es melancholisch gebrochen nach. Einen Gänsehaut-Effekt der düsteren Art setzt darauf die einzige Frau im Slammer-Feld, Jaana, die mit ihrem Song „Out of Control“ bereits in der Vorrunde nicht nur durch ihre markante Reibeisenstimme herausragte: Mit „Devil‘s Bride“ wäre sie beinahe ganz vorne gelandet. Den Sieg teilten sich am Ende Julius Kühn mit „Get Started Walking“ – einem Song, der zeigen soll, dass es „kein Nachteil“ sein muss, „wenn man ein bisschen weniger hat“ – und Christoph Heute mit virtuos-rockigen Akkorden, der seine Western-Slide-Guitarre in der Vorrunde noch nonchalant übers Knie legte und wie eine Zither erklingen ließ. Alles in allem wurde dem über 50-köpfigen Publikum ein breites Stil-Repertoire auf gleichbleibend hohem Niveau geboten – und natürlich eine unnachahmliche Moderation …
„Immer schön ernst bleiben“
„Fug“ von „Unfug“ zu trennen, ist glücklicherweise nicht die Aufgabe einer Poetry-Slam-Jury – sonst wäre Sebastian23, der es sich am nächsten Abend nicht verkneifen kann, zu betonen, einst „der Frauenbeauftragte der RUB gewesen zu sein“ vielleicht gleich am Anfang durchgefallen, gerade weil bei ihm neuerdings „alles durchgegendert“ sei und er selbst vor Neologismen wie der „Ulrikin“ nicht zurückschreckt und als weitere Eskalationsstufe des Grauens schließlich „brennende Behindertenkindergärten“ gegen mutmaßlich überzogene politische Korrektheit ins Feld führt. Dagegen hilft vielleicht nur eine wahrhafte „Götterslammerung“ im Stile eines Christoph Koitka, der in seinem ‚meta-slammatischen Abgesang‘ die „Slammer im Wolfspelz“ entlarvt und virtuos-wortgewandt schließlich das „Schweigen der Slammer“ einfordert. Dies bringt dem :bsz-Redakteur und RUB-Historiker, der den Finaleinzug lediglich um zwei Jurypunkte verpasst, immerhin den vierten Platz unter insgesamt neun SlammerInnen und als sehr lohnenden Trostpreis das neue Sebastian23-Buch „Purer Unfug“ ein. Die insgesamt 150 Euro Siegesprämie werden schließlich zu gleichen Teilen unter den Finalisten aufgeteilt. So rechnet der als „Gute-Laune-Pionier aus Dortmund“ anmoderierte Tobi Katze, der den Finaleinzug sehr überzeugend mit einem sarkastischen Text über einen Küchenbrand erreichte, am Ende spektakulär mit einer – hoffentlich imaginären – Ex-Freundin ab. Auch Der Jesko aus Potsdam weiß bereits bei seinem ersten Auftritt mit Höchstnoten zwischen 9 und 10 als „HipHopper von der Waldorfschule“ zu überzeugen und legt in der Schlussrunde mit einem Text über das interkulturelle Spannungsverhältnis zwischen einem deutschen Touri und einer schönen Kubanerin nach, die am Ende den Stab über Ches Erben bricht: „Ich schlief zwar mit Touristen, doch ich flirte nicht mit Mördern.“ Der RUB-Student und Campus-Radiojournalist Tuna Tourette rundet nach relativ knappem Endrundeneinzug das Final-Trio mit einem „Mega-Hasstext“ auf das Leid zwischengeschlechtlicher Beziehungen ab: „Sex ist schlimmer als Heroin“, hallt es schließlich in den mehr als 450 Köpfen im vollbesetzten KulturCafé nach.
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