Das Referat für Politische Bildung (PoBi) des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) hatte am 12. November den Wirtschaftsprofessor Heiner Flassbeck zu einem Vortrag an die Ruhr-Universität eingeladen. Der Vortragstitel „Der Europäische Traum und ein schlimmes Erwachen“ hatte mehr als 80 Interessierte in Hörsaal HZO 50 an der Ruhr-Universität gelockt. Wer jedoch mit der Erwartungshaltung gekommen war, etwas über Korruption und Misswirtschaft in den südeuropäischen Staaten zu hören, wurde enttäuscht. Die vergleichende Analyse von Professor Flassbeck nahm vor allem Frankreich und Deutschland in den Blick. Und hier konstatierte der Ökonom eindeutiges Fehlverhalten auf der deutschen Seite. Statt wie Frankreich das gemeinsame Inflationsziel von 2 Prozent einzuhalten, haben die Deutschen dieses Maastricht-Kriterium durch zu geringe Lohnsteigerungen in den letzten zehn Jahren unterlaufen. Mit dramatischen Folgen für den Euro. Deutschland konkurriert den Rest des Euroraums durch Lohndumping nieder, was zum Zerbrechen des Euro in absehbarer Zeit führen wird – so die Kernthese des ehemaligen UNCTAD-Chefvolkswirts, die er auch durch die aktuell vorgebrachte Kritik am Exportüberschuss Deutschlands durch die USA, die EU und den Internationalen Währungsfonds (IWF) gestützt sieht. Die :bsz hatte Gelegenheit vor dem Vortrag mit Professor Flassbeck zu sprechen.
:bsz Herr Professor Flassbeck, das Irritierende an Ihren Thesen ist ja, dass die Welt, wie wir sie aus der Tagesschau kennen, auf den Kopf gestellt wird. Nicht die südeuropäischen Staaten sind Schuld an der Krise, sondern Deutschland. Wie kommt das an?
Heiner Flassbeck: Ich war am Wochenende auf einer Konferenz zur Euro-Krise in England, an der auch Leute aus Brüssel teilgenommen haben und es gab kein wichtigeres Thema auf dieser anderthalbtägigen Veranstaltung als die Löhne in Deutschland. Die Wahrnehmung der Krise dreht sich total im Moment. Es wird immer mehr begriffen, was Sache ist. Das Thema Staatsschulden kam fast nicht vor. Da ändert sich wirklich etwas.
Das US-Finanzministerium kritisiert Deutschland scharf wegen seiner Exportüberschüsse. Jetzt eröffnet die EU ein Verfahren gegen Deutschland, weil es die Exportüberschussgrenze von 6 Prozent mehrfach überschritten hat. Müssen die Deutschen ihre Exporte jetzt drosseln?
Selbst diese 6 Prozent sind schon Schmu. Die hat Deutschland für Überschussländer durchgesetzt. Defizitländer müssen sich schon bei 4 Prozent rechtfertigen. Das ist eine Unverschämtheit, also ein wirklicher Skandal. Aber man sieht, die Machtverhältnisse drehen sich da etwas. Die Leute wollen sich das nicht mehr gefallen lassen und deswegen ist selbst die Brüsseler Kommission jetzt mutiger als sie es jemals war.
Im Bundestagswahlkampf kam die Euro-Krise ja kaum vor. Wenn überhaupt, wurde sie eher von rechten Parteien angesprochen. Müsste nicht gerade eine Partei wie Die Linke, die im Bundestag konsequent gegen die sogenannten Rettungspakte gestimmt hat, das Euro-Problem viel offensiver ansprechen?
Ich habe auch mit der Partei Die Linke diese Fragen diskutiert und ich muss sagen, die sind immer noch mutig gewesen und haben meine Positionen zum erheblichen Teil mitgetragen und auch im Bundestag verteidigt. Da will ich nicht groß kritisieren. Das Problem ist, dass in der Öffentlichkeit sofort, sobald man eine kritische Position hat, einem ein Anti-Euro-Mäntelchen umgehängt wird. Als ich im Frühjahr gesagt habe, „es geht so nicht weiter“ und wir müssen eine Option schaffen für schwache Länder auszusteigen, war dieser Versuch auch sofort da. Reflexartig kommt dann: Der ist ja Anti-Europäer. Was ein völliger Blödsinn ist: Wenn die Partei Die Linke die europäische Kommission zu Recht kritisiert, weil das bisher jedenfalls eine extrem neoliberale Veranstaltung war, dann kann man das auch als guter Europäer tun. Das muss man als guter Europäer tun. Das ist völlig lächerlich, dann zu sagen, „der ist ein Anti-Europäer“. Das ist dann die Art und Weise, wie man versucht, Linke von vornherein fertigzumachen. Aber man muss sagen, dass es bei der Partei Die Linke auch Leute gibt, die sich nicht trauen, weil sie Angst haben, dann „Irrealos“ oder so etwas zu werden; deswegen gibt es auch da so viele „Realos“, was ein völlig lächerlicher Begriff ist.
Im Vorfeld Ihres Vortrags kam unter anderem auf Facebook die Kritik, dass es sich um eine Veranstaltung handeln könnte, die auch von der AfD hätte kommen können. Liegt es daran, dass Kritik an der Euro-Politik von Linken kaum vorgebracht wird und manche deswegen bei Euro-Kritik immer denken, dass die nur von rechts kommen kann?
Ja, weil die Linke da ein Vakuum hinterlassen hat. Weil die SPD vor allem dieses Vakuum hinterlassen hat. Ich habe das mit Gabriel (Anm. d. Red.: SPD-Chef) diskutiert vor drei Jahren, zusammen mit Peter Bofinger (Anm. d. Red.: Mitglied im unabhängigen Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage in Deutschland) und Gustav Horn (Anm. d. Red.: Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung), und seit der Zeit hat sich die SPD nicht getraut ein offenes Wort zu sagen. Und das zeigt, dass da etwas fundamental schiefläuft. Die SPD hat dieses Thema den anderen überlassen. Und das darf sie einfach nicht. Und bei den Grünen auch: Da gibt es ein vollkommenes Vakuum in dieser Frage. Sie schweigen dazu, weil sie Angst davor haben, hier gegen ein paar deutsche Exportunternehmen was zu sagen.
Stichwort Exportunternehmen: Die deutsche Exportwirtschaft sieht das Problem der Bilanzüberschüsse innerhalb des Euroraumes nicht, weil nur 2 Prozent des deutschen Überschusses mit Europa gemacht werden…
Wenn ich da kurz unterbrechen darf? Das ist ein witziges Argument! Weil vor drei, vier Jahren – ich saß die ganze Zeit in der G20 (Anm. d. Red.: Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer) – wurde genau umgekehrt argumentiert. Da haben die Deutschen zu den Amerikanern gesagt, unser Überschuss geht euch gar nichts an, denn den haben wir ja mit Europa. Wenn sie nun sagen, nein, wir haben unseren Überschuss ja außerhalb Europas, dann geht das ja plötzlich die Amerikaner erst recht was an! – Das ist vollkommen absurd. Außerdem: Klar haben sich einige Euro-Länder schon ein bisschen verbessert, es gibt auch kleine Exportzuwächse. Aber es gibt vor allem einen riesigen Rückgang der Importe vor allem in Italien. Nur das ändert nichts daran, dass wir als Europa nicht insgesamt einen riesigen Leistungsbilanzüberschuss gegenüber dem Rest der Welt machen können, ohne dass der Euro aufwertet. Wie wollen wir dann die Aufwertung des Euro verhindern? Dann bekommen wir wirklich Streit mit den Amerikanern, dann machen die ihre Grenzen dicht. Vollkommen klar, vollkommen logisch und auch vollkommen richtig.
Sie haben, verkürzt gesagt, vorgeschlagen, dass in Europa langfristig eine Harmonisierung der Löhne stattfinden soll. In den nächsten 20 Jahren sollen sie in Deutschland überdurchschnittlich steigen, in den meisten anderen Ländern dafür weniger. Ist die Sorge berechtigt, dass wir dann in Deutschland und Europa irgendwann mit China nicht mehr konkurrenzfähig sind?
Nein, denn wir haben ja keine Währungsunion mit China. Der Euro kann gegenüber China auf- oder abwerten, wenn es zu Ungleichgewichten kommt. Nur in einer Währungsunion geht genau das eben das nicht. Das ist ja das Problem in Europa.
Als überzeugter Europäer sind Sie besorgt über die politische Entwicklung in Europa: In Frankreich gewinnt der Front National dazu, aber auch in Österreich, das von der Krise noch gar nicht betroffen ist, haben rechte Parteien aktuell bei der Nationalratswahl stark hinzugewonnen. Sehen Sie die Gefahr eines Rechtsrucks in Europa?
Strache (Anm. d. Red.: Hans-Christian Strache, FPÖ-Parteichef, Österreich) hat über 20 Prozent bekommen mit dem Slogan „Kein Cent für Pleitestaaten“. Das muss man sich vorstellen. Und machen wir uns nichts vor, Deutschland ist da noch ein bisschen immun gegen wegen seiner Vergangenheit. Aber in den betroffenen Staaten… Wenn das in Frankreich nicht besser wird… Frau Le Pen (Anm. d. Red.: Marine Le Pen, Vorsitzende des Front National, Frankreich) führt „national“ und „sozial“ zusammen. Sie sagt explizit: „Ich bin die einzige Politikerin, die den Wohlfahrtsstaat erhalten will“ – aber eben nur für die Franzosen. Diese Gefahr muss man sehen.
Danke für das Gespräch!
Ein Video des Vortrags von Professor Flassbeck wird in Kürze hier und auf den Seiten des AStA online abrufbar sein.
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Video des Vortrags von Professor Flassbeck
wo finde ich das versprochene Video des Vortrags von Professor Flassbeck?
MfG