Ein Computerspiel ist ein Computerspiel, und ein Theaterstück ist ein Theaterstück. Dass diese auf den ersten Blick recht banale Aussage nicht immer stimmen muss, beweist die Gruppe machina eX. Mit ihrem Stück „Hedge Knights“ gastierten die jungen KünstlerInnen im Dortmunder Unionviertel. Die Ankündigung sprach kryptisch von einer „Performance zum Mitmachen“, die mit „Mitteln des Theaters, des Computerspiels und der (Medien-)Kunstinstallation“ in ein „Live-Adventure-Game“ münden sollte. Wir hatten keine Ahnung, was nach dieser Überfrachtung an popkulturellen Reizworten zu erwarten war. Darum hat sich die :bsz das Spektakel einmal angesehen und mitgestaltet – und wurde positiv überrascht.
Auf dem Weg zum Bewerbungsgespräch passiert das Malheur: Denise Wilterstal (gegeben von Laura Naumann) verliert die hohe Hacke eines ihrer Schuhe. Viel Zeit ist nicht, und zu allem Überfluss ist ihr auch noch die Handtasche entglitten. Bunt verstreut liegen Zettelchen, Krimskrams und gebrauchte Kaugummis in silbrigem Papier auf dem Boden herum. Doch anstatt ihren Krempel wieder einzupacken und zum Termin zu hetzen, läuft Wilterstal hin und her und wiederholt ständig den gleichen Satz: „Was mache ich denn jetzt?“
Um sie herum stehen im Halbkreis knapp fünfzehn Menschen am Lichtkegelrand der wohldosierten Deckenbeleuchtung: Meist alternativ bis nerdig ausschauend, meist männlich. Die Gruppenmitglieder schauen sich an. Jetzt fängt es wohl an mit dem angekündigten Mitmachen. Wie in einem klassischen Zeigenund- Klicken-Abenteuer für den Computer wird die Geschichte ohne eine Aktion der SpielerInnen nicht weitergehen. Und deren Rolle nehmen in diesem Spiel wohl wir ein. „Einfach mit Kaugummi ankleben“, ruft einer der Teilnehmer. Gesagt, getan – und Denise Wilterstal (deren Name nicht zufällig ein Anagramm für „Inside Wall Street“ ist) sagt „Das müsste klappen!“ – und marschiert schnurstracks weiter. Ungläubige Blicke allenthalben, doch der Absatz hält tatsächlich.
Finanzkrise im Zeitraffer
Und damit ist die Gruppe, sind wir mittendrin im Plot von „Hedge Knights“. Mehr noch – der Plot ist Wachs in unseren Händen. Wir geben den Takt der Story an, treffen Entscheidungen und leiden mit den ProtagonistInnen. In den nächsten anderthalb Stunden werden wir Denise Wilterstal zunächst zur Mitarbeiterin einer Investmentbank machen, wo sie skrupellos Geld für ihren Chef, August Mohr (Yves Regenass), scheffeln wird. Wir werden dann ihre Skrupel aktivieren, wenn Mohr und seine Lebensgefährtin (die auch seine Frau hätte werden können, hätten wir sie gelassen), die Pharmaerbin Clara Levi (Anna Sina Fries), verbotene Insidergeschäfte einstielen. Als Whistleblower werden wir mit Wilterstals Hilfe die Börsenaufsicht auf den Fall hetzen und das gierige Paar kompromittieren. Und dann werden wir mitansehen, wie auf Grund unserer Entscheidungen das Glück auf Mohrs Seite ist, der sich mit seinen Millionen und seiner Clara absetzen kann, während Denise Wilterstal da steht, wo sie am Anfang stand: Draußen vor der Tür der Investmentbank – gefeuert.
Mit ihr stehen wir da, noch etwas sprachlos. Denn was wir soeben erlebt haben, war tatsächlich so informativ wie unterhaltsam, tiefgehend und kurzweilig. Wir haben die Finanzkrise zwar nicht verstanden, denn das hat bisher wohl niemand so richtig. Wir haben sie aber im Zeitraffer erlebt, auf eine atemberaubende Art und Weise. Mit den Worten „Live-Rollenspiel“ und „intermediale Installation“ ist Hedge Knights nur sehr unzureichend beschrieben und beworben worden. Machina eX erschaffen mit jeder Aufführung mit Hilfe der Spielenden ein neues, flüchtiges Kunstwerk.
Dynamisches Spielerlebnis
Freie Kamera, 3D-Grafik, Detailverliebtheit – „Hedge Knights“ bedient alle Anforderungen, die auch an moderne Computerspiele des Genres gestellt werden. Nur an einer Stelle wird der Spielfluss unterbrochen, weil wir mit der Groß- und Kleinschreibung eines Passworts unsere Probleme haben. Ansonsten entwickelt die Melange aus gespielten Szenen, Medienfetzen wie TV-Einspielern und dem interaktiven Teil eine rasante Dynamik. Die ausgezeichnet eingesetzte Technik umfasst Geräuscheffekte und Kinkerlitzchen wie eine leuchtende Fahrstuhllampe, die für aufmerksame SpielerInnen das Nahen des Lifts bereits im Voraus ankündigt. Insgesamt wird so eine stimmige Immersion erzeugt. Das Spielerlebnis ist dabei für jede Gruppe anders, ebenfalls analog zu den meisten modernen Pixelspielen. „Insgesamt gibt es acht verschiedene Enden“, verrät Yves Regenass alias August Mohr. Mit diesem Wissen möchte man gleich noch einmal den ersten Speicherstand laden – beziehungsweise direkt noch einmal eine Karte kaufen.
Wer machina eX einmal selbst erleben möchte, hat dazu im VRR Gelegenheit: Derzeit wird die Gruppe mit einer Residenz in Düsseldorf gefördert. Alle Infos gibt’s auf der Internetseite.
Weitere Infos findet Ihr im Internet unter: www.machinaex.de
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