Bild: Nicht nur ein schönes Cover: Daytripper., Rezension zur prämierten Graphic-Novel „Daytripper“ Cover: Presseservice Paninicomics

Nicht weniger als den Wert des guten Lebens im Angesicht des Todes hat der jüngst auf Deutsch erschienene Comic „Daytripper“ zum Thema. Die Geschichte des sinnsuchenden Autoren Brás im Schatten seines übermächtigen Vaters spielt in Brasilien und ist anlässlich der diesjährigen Frankfurter Buchmesse erstmals in Deutschland veröffentlicht worden. Der Status Brasiliens als Gastland der diesjährigen Buchmesse und die Anwesenheit des Autorenduos Fábio Moon/Gabriel Bá eben dort sind genau wie der auf 2011 datierte Eisner-Preis für die beste abgeschlossene Serie noch keine Gründe, „Daytripper“ zu lesen. Deren gibt es auch ohne Vorschusslorbeeren genug, von denen hier trotzdem einige hinzugefügt werden sollen.

Die Geschichte von Brás de Oliva Domingos ist so poetisch und warmherzig erzählt, dass sie die Grenzen von Kitsch und großen Gefühlen, gefolgt von nicht weniger großen Gedanken, verschwimmen lässt und als Grenzgänger mehrfach überschreitet. Durch die Lebensgeschichte von Brás stellen die Autoren die Fragen, die so einfach scheinen und doch seit Menschengedenken so schwer zu beantworten sind. Wofür lohnt es sich, zu leben? Und ist ein Leben weniger wertvoll, wenn es nichts vermeintlich Relevantes hervorgebracht hat? Wie findet man Liebe und Freiheit, und wie behält man sie? Bestenfalls kann die Gesamtheit dieser Fragen erst am Ende eines Lebens zufriedenstellend beantwortet werden. Um alle diese existenziellen Probleme auf 260 Seiten bearbeiten zu können, reichen die Antworten, die ein einzelner Tod geben kann, nicht aus. Deswegen lassen die Autoren Brás am Ende jedes Kapitels sterben…

Dabei gehen die beiden Brasilianer nicht chronologisch vor, sondern springen nach Belieben durch die fiktive Biographie des Schriftstellersohns aus Sao Paulo. Die verschiedenen Details seines Lebens, die in den einzelnen Kapiteln beleuchtet werden, sind dabei gar nicht wichtig. Sie dienen gewissermaßen als Steinbruch des Menschlichen, aus dessen Brocken Moon und Bá die großen Themen mit feinem Meißel herausarbeiten: Die erste Liebe – die eigene Cousine. Die erste Leidenschaft – eine unbekannte Schöne am Meer. Dazu kommen eine enge Männerfreundschaft und ein übermächtiger Vater, später unterschwellige Familienkonflikte zwischen Verantwortung und Karriere.

Das Klischee als Waffe

Auf dem mittlerweile fast nackten Boden der Klischeekiste kratzt das Autorenpaar noch einige Reste zusammen: So wird das ohnehin sehr deutlich gezeichnete Leitmotiv „Tod“ durch Brás’ Broterwerb als Verfasser von Nachrufen bei einer Zeitung überdeutlich hervorgehoben. „Die Menschen brauchen einen Abschluss. Hilf ihnen, weiterzumachen!“, verdeutlicht sein Chefredakteur den Aufgabenbereich. Dass die Narration die Botschaft des Stehaufmännchen Brás, das hypothetische Tode en masse stirbt, nicht nur unterschwellig, sondern ausformuliert geradezu mit dem Holzhammer unter die LeserInnen bringt, passt ins Bild. Auch die Darstellung der durchweg sehr typischen Familien folgt stets dem Schema Vater-Mutter-Kind. Gleichzeitig ist das Klischee aber auch eine der stärksten Waffen im Arsenal der Erzähler: Sie wollen mit (fast) allen Mitteln erreichen, dass die Botschaft des Buches klar wird. Durch die Beliebigkeit ihrer Figuren und deren Handlungen stellen Moon und Bá deren Wahrnehmung als universelle Projektionsfläche sicher. Mit wenigen geistigen Handgriffen wird jede/r LeserIn selbst zu Brás, denn die Fragen sind seit jeher stets die gleichen, und ein Leben ist immer ein Leben. Aber nicht sehr oft werden die Fragen so schön gestellt und das Leben so nett erzählt.

Der schablonenhaften Erzählung gelingt es nämlich, trotz ihrer Belanglosigkeit Interesse für die Biografie des Protagonisten zu erwecken. Beim Lesen der Geschichte ertappt man sich, hineingezogen zu werden, obwohl man die Story schon als Verpackung der Sinnfragen entlarvt zu haben glaubte. Die sehr s chön au sge – führten, detailreichen und die Erzählung durch Variabilität in der Farbpalette unterstützenden Zeichnungen tragen ihren Teil zum Gesamterlebnis „Daytripper“ bei.

„Der Tod gibt uns eine völlig neue Perspektive auf das Leben und alles andere“, heißt es an einer Stelle im Buch. Nach der Lektüre hat man allerdings den Eindruck, dass alles andere hinter dem Leben weit zurückbleibt – und dass man sich dagegen kaum wehren kann.

Fábio Moon / Gabriel Bá:
Daytripper, Vertigo (Taschenbuch auf Englisch, ca. 15 Euro),

Panini (Hardcover auf Deutsch, ca. 25 Euro).

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