Bild: Spielt mit religiösen Anspielungen: Orphaned-Land-Frontmann Korbi Farhi. , Israelische Band Orphaned Land beehrte die Matrix mit orientalischen Klängen Foto: Frost Fotografie

Wenn es nach ihnen und ihren Fans ginge, würden sie für den Friedensnobelpreis nominiert. Sie kommen aus Israel und beantragten die Staatsbürgerschaft der muslimischen Türkei, ihre Themen sind Völkerverständigung und die gemeinsamen Ursprünge der drei Buchreligionen Judentum, Islam und Christentum – und sie spielen progressiven, vielschichtigen Death und Doom Metal. Die Rede ist von Orphaned Land, die am 25. September in multireligiöser Tourkonstellation ihre Botschaft lautstark in der Bochumer Matrix verkündeten.

Das bemerkenswert multikulturelle Mini-Festival eröffnen die Experimentalmetaller von The Mars Chronicles vor einem Publikum, das sich zwar noch nicht richtig mitreißen lässt von den weiß angezogenen Franzosen, aber doch interessiert ist.

Eine halbe Stunde später dann fliegen lange Haare durch den Raum, kein Fuß, der nicht mitwippt, Applaus, der eines Headliners würdig wäre. Den haben sich Klone auch verdient: Die Jungs aus Poitiers sind mit ganzem Herzen und vollem Körpereinsatz dabei. Während der gutaussehende Sänger stimmlich an Disturbed erinnert, pflügen die Saitenbearbeiter durchs KoЯn-Feld, macht die Band stiltechnisch immer wieder Schlenker Richtung Bay Area und Südstaaten.
Dass eine Band aus Israel mit Franzosen als Support tourt, ist selten, doch der dritte Act ist eine kleine Sensation: Bilocate kommen aus Jordanien, politisch nicht unbedingt ein Partner Israels. Doch Musik vereint: Serviert wird Death Metal mitten in die Fresse. Der hervorragende, sich immer wieder in den Vordergrund spielende Bass sorgt für zusätzliche Schläge in die Magengrube.

Metal mit Konfliktpotential

Die Gruppe, die als nächstes kommen und den Höhepunkt des Abends darstellen soll, tauchte in den letzten Jahren auch abseits der Szenemedien auf – vor allem wegen ihres Engagements zur Völkerverständigung. Orphaned Land sind fünf Juden aus Tel Aviv und setzen, wo es nur geht, Zeichen gegen den Konflikt in ihrer Heimatregion. Nicht immer ohne anzuecken: In den 90er Jahren musste die noch junge Band ein Auftrittsverbot in ihrem Heimatland hinnehmen. Fans in islamischen Ländern leben gefährlich, wenn sie sich zu Orphaned Land bekennen – die Band selbst hat große Achtung vor diesen Menschen und beteuert immer wieder, wieviel es ihr bedeute, diese verhärteten Grenzen mit ihrer Musik aufbrechen zu können.

Der unterirdische Konzertsaal der Matrix hat mittlerweile sein Publikumsmaximum des Abends aufgenommen. Es gab schon Konzerte in dem alten Brauereigebäude, die besser besucht waren, selten aber so bunt. Vorne mittig ein israelisches Touristengrüppchen – reist es der Band etwa hinterher? Wie die üblichen Metal-Fans oder Groupies sehen sie jedenfalls nicht aus. Ganz vorne rechts steht – und das sehe ich zum ersten Mal auf einem Metal-Konzert – ein Mädchen mit Kopftuch. Eine dunkelhaarige Ü40-Frau neben mir wird später zu „Brother“ lautstark mitsingen.

Gitarre, Oud und Bouzouki of Doom

Orphaned Land betreten die Bühne und eröffnen ihr Konzert mit „Through Fire and Water“ vom neuen Album „All Is One“. Eines der stark orientalischen Stücke, mittleres Tempo, Geigen und Instrumente von der Levante, getragener, arabesker Gesang aus Männer- und Frauenkehle. Direkt danach der epische Titeltrack des neuen Albums mit opulenten Chören. Diese kommen allerdings wie der zauberhafte Frauengesang und die Zusatzinstrumente vom Band. Eingespielt wurden diese – zum Beispiel Bouzouki, Oud und Baz – allerdings von Gitarrist Sassi.

Die Fachpresse hat insbesondere das vor- und drittletzte Album der Band gelobt. Dass brutaler Death Metal eine solche Bereicherung durch filigrane Folklore des Nahen Ostens erfahren kann, erstaunt und fesselt. Mit dem aktuellen Album hat die Band Doom gegen Power Metal, Opulenz gegen Tiefe eingetauscht, dafür an Eingängigkeit gewonnen.

Heilige Schriften statt Tolkien

Live kommen die neuen Stücke großartig an. Die alten können aber locker mithalten. Wo viele Metalbands Fantasywelten besingen, entführen Orphaned Land zu den gemeinsamen Geschichten der Buchreligionen wie dem Bau der Arche. Vokalist Korbi Farhi trägt ein langes Gewand, und wenn er nicht headbangt, tänzelt er schwungvoll über die Bühne. Ein wenig wie Jesus schaut er aus. Zwischen den Songs erzählt er von der Gleichheit der Menschen, unabhängig von ihrer Religion, und von Frieden. Dazu hebt er zwei Finger und den Daumen der rechten Hand, ein Scheinwerferhalo erstrahlt um sein Haupt. Korrektur also: Ganz genau wie Jesus sieht er aus. Und sagt, weiser als es der Heiland/Prophet je hätte sagen können: „Wir sind jüdische Jungs aus Israel und sind unterwegs mit einer muslimischen Band aus Jordanien und zwei christlichen aus Frankreich. Aber eigentlich eint uns die verdammte beste Religion der Welt: Heavy Metal!“
 

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