Die mannigfaltig begabte Künstlerin Miranda July – Regisseurin, Drehbuchautorin, Schauspielerin, Musikerin und Schriftstellerin – ist seit diesem Juli die Initiatorin eines einzigartigen Performancekunst-Projektes für die Stockholmer Konsthall. Es handelt sich um das sogenannte „We think alone“-Projekt. Von der Hollywood-Prominenz über erfolgreiche SportlerInnen bis hin zu gleichgesinnten KünstlerInnen – Miranda July sammelt die Privatnachrichten der Stars und Sternchen von heute und verteilt diese dann an alle (interessierte) Welt über einen Newsletter.
Der 39-jährigen Miranda July wurde die Kreativität quasi in die Wiege gelegt: Sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater sind SchriftstellerInnen. Schon in frühen Jahren engagierte sich die US-Amerikanerin politisch. Beispielweise setzte sie sich bereits mit achtzehn Jahren für die Aufklärung über Sexismus an ihrer Schule ein. In den 90ern musste sich Miranda July mit einem Job bei einem Schlüsseldienst übers Wasser halten, mittlerweile gilt sie als genreübergreifende Popkulturikone der neuen Generation US-amerikanischer KünstlerInnen: Im Jahr 2000 wurde ihre Performance „The Swan Tool“ im renommierten Guggenheim Museum in New York aufgeführt, 2005 eröffnete ihr erster Langfilm „Ich und Du und Alle, die wir kennen“ die Filmfestspiele in Cannes und dank ihres Kurzgeschichtenbands „No One Belongs Here More Than You“ wurde ihr der mit 35.000 Euro dotierte „Cork City-Frank O’Connor Short Story Award Award“ verliehen.
Wird „We think alone“ Miranda July zu noch mehr Ruhm verhelfen? Dafür spricht, dass das Projekt auf das breite kommerzielle Publikum abgerichtet ist. Sogar A-Promis, wie zum Beispiel die Schauspielerin Kirsten Dunst oder der ehemalige Basketballspieler Kareem Abdul-Jabbar, plauderten aus dem elektronischen Nähkästchen. Insgesamt werden über zwanzig Wochen hinweg zwanzig E-Mails veröffentlicht.
„War grad kacken.“
Und welches Interesse steckt hinter dem Projekt? Einerseits sei die Künstlerin neugierig auf die Menschlichkeit, die in den privaten Mails zum Ausdruck komme – auch Personen des öffentlichen Lebens wollen ab und an ihre Impressionen vom letzten Mittagessen, den Inhalt ihres gestrigen Traumes und ihr Missfallen über Verstopfungen mit anderen teilen… Umso menschlicher die E-Mails seien, desto besser, so Miranda July. Menschen würden sich via E-Mails so intim, schon fast obszön zueinander verhalten. July zufolge, bekäme man durch den Einblick in die privaten Mails einen flüchtigen Eindruck von der (Welt-)Anschauungsweise der AbsenderInnen.
Schein & Sein
Andererseits betont Miranda July ebenso den Unterschied zwischen der Einsicht in digitales und wirkliches Gedankengut. Obwohl wir oft eigentlich nicht mehr in unseren Mails „verstecken“, als menschliche, triviale Inhalte, werden wir dieses absurde mulmige, drückende Gefühl in der Magengegend, wenn wir an den Prism-Skandal denken, nicht los…. Wie weit geht das Schamgefühl des modernen Menschen?
Und Miranda July spricht es ganz offen an: Bei den E-Mails handle es sich selbstverständlich um sorgfältig ausgewählte Exemplare des Absenders oder der Absenderin. Das erweitert das Kunst-Projekt auf eine weitere Ebene – auf die Ebene des inszenierten Selbst-Portraits. Allein die Kluft, die sich zwischen einer Mail an die Großmutter und einer Mail an die beste Freundin auftut…
Was zeigen uns die „privaten“ Mails also tatsächlich? Die ungeschönte Wahrheit über die AbsenderInnen jedenfalls nicht. Eher das Gegenteil. Denn ist es nicht ein gelungener Schachzug, das Beste oder das, was im Prinzip nichts aussagt, vorzuschieben, um das Eigentliche – die beschämende nackte Realität – zu verdecken?
Trotzdem beharrt die Künstlerin darauf, dass sie die AbsenderInnen nun wirklich kenne. Ein Widerspruch in sich? Oder liegt die eigentliche Kunst darin, hinter die Fassade der Selbstinszenierung zu blicken? Geht es Miranda July im Endeffekt darum? Ist es der vielseitig begabten Künstlerin sogar vergönnt, durch Mauern hindurch schauen zu können?
0 comments