Nach dem Hin und Her der letzten Wochen wächst nicht nur bei der Opel-Belegschaft das Bedürfnis nach Klarheit. So ist die Existenzfrage der drei Bochumer Werke nicht nur für die Stadt, sondern für die gesamte Region von Belang. Vor einigen Tagen noch hieß es, dass nicht nur die hiesige Fahrzeugproduktion, sondern alle drei Bochumer Opel-Werke Ende 2014 schließen würden. Inzwischen ruderte die Werksleitung zurück und bezeichnet alles als ein „Missverständnis“ − zumindest das Warenverteilzentrum solle nun doch bis Ende 2016 in Bochum bleiben.
Nach dem medialen Verwirrspiel durch die vom Betriebsratschef Rainer Einenkel in der WAZ als „Wahnsinn mit Methode“ bezeichnete Desinformationspolitik der Werksleitung in den letzten Wochen könnten die Zeichen nun wieder auf Streik stehen: „Wenn der richtige Zeitpunkt kommt, dann seht Ihr Bochum wie früher“, war ein Opelaner am 21. Mai im „Westblick“ auf WDR5 zu hören und spielte damit auf den als ‚Dauerinformationsveranstaltungen‘ bezeichneten einwöchigen ‚wilden Streik‘ im Oktober 2004 an. Die :bsz bat den Betriebsratschef um eine Einschätzung der aktuellen Lage.
:bsz Wie bewertet der Opel-Betriebsrat die derzeitige Informationspolitik der Werksleitung?
Rainer Einenkel: General Motors (GM) verlangt, dass mindestens ein Fahrzeugwerk in Deutschland als Fahrzeugwerk geschlossen werden muss. Ohne Schließung von Bochum will GM die Finanzierung der anderen Werke nicht übernehmen. Die Werksleitung hat den Auftrag, die Politik von General Motors umzusetzen. Nur im Rahmen dieser Politik darf die Werksleitung agieren, ohne eigenen Spielraum.
Das Beispiel Nokia hat gezeigt, dass es wichtig ist, den richtigen Zeitpunkt für Arbeitsniederlegungen und ähnliche Protestformen nicht zu verpassen. Ist es nicht schon längst Zeit, an die Dauerinfoveranstaltungen vom Oktober 2004 anzuknüpfen?
2004 konnte ein einzelnes Werk die Produktion in vielen Werken empfindlich stören und zum Erliegen bringen. Daraus haben die Unternehmen gelernt. Heute gibt es eine hohe Produktionsflexibilität zwischen den Werken. Die Produktion ist zwischen den Werken austauschbar geworden. Durch die niedrige Auslastung der Opel-Werke gibt es berechtigte Sorgen, dass andere Werke die Bochumer Produktion übernehmen, und dann steht man ganz allein da. Da gibt es berechtigte Befürchtungen. Unter diesen Bedingungen muss Solidarität und notwendiger Widerstand bei den Gewerkschaften, im Opel-Europabetriebsrat und der einzelnen Belegschaften neu definiert werden. Bei jeder Aktion muss man klären, wie lange, mit wem, mit welchem Ergebnis, unter welchen Bedingungen. So werden wir auch weitere Schritte beraten und umsetzen. Ich hoffe, dass von den europäischen Opel-Belegschaften und Gewerkschaften konkrete Unterstützung kommt. Der Vorsitzende des Betriebsrates Rüsselsheim ist gleichzeitig der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates und der Vorsitzende des europäischen Betriebsrates.
Das traurigste Signal, das in den letzten Jahren von einem Opel-Standort ausgegangen ist, war die beinahe arbeitskampflose Aufgabe des Werks in Antwerpen. Eine europaweite Streikwelle an den einzelnen GM-Standorten hätte das Ruder damals vielleicht noch herumreißen können. Gibt es die Hoffnung, dass dies im Falle Opel Bochum anders aussehen könnte?
Die schmerzhafte Niederlage mit Antwerpen muss endlich kritisch und selbstkritisch in der IG Metall, den anderen europäischen Gewerkschaften und im Europabetriebsrat aufgearbeitet werden. Das wurde bisher versäumt. Jetzt wiederholt sich die Geschichte. Antwerpen hatte eindeutige und einklagbare Zusagen. Die wurden von GM und Opel nicht eingehalten. Warum soll man den schwammigen Zusagen für Bochum trauen, wenn selbst verbindliche Zusagen, siehe Antwerpen, gebrochen werden? Das hat die Bochumer geprägt.
Seitens der Opel-Belegschaft in Rüsselsheim gibt es gegenwärtig die Überlegung, das ‚Zafira-Geschenk‘ der Unternehmensleitung zurückzuweisen, um Bochum zu unterstützen. Könnte dieses Druckpotential die Situation für den Bochumer Standort entscheidend verändern?
Wichtig wäre ein eindeutiges Signal des Rüsselsheimer Betriebsrates und der hessischen IG Metall. Schließlich wurde im letzten Jahr von ihnen selbst erklärt, niemals den Bochumer Zafira zu übernehmen, wenn dadurch Bochum geschlossen würde. Dieses klare Signal fehlt bisher. Eine solidarische Erklärung der Rüsselsheimer wäre der Schlüssel für weitere Verhandlungen. Die Behauptung aus Rüsselsheim, dass dann der Zafira nach Polen oder England verlagert würde, ist Unsinn. Im Gespräch ist nur Rüsselsheim und von dort muss das entscheidende Signal kommen.
Reiner Einenkel, vielen herzlichen Dank für das Interview!
Weitere Infos im Internet unter:
www.wir-gemeinsam.eu
0 comments