Ob Johannes der Täufer, die Medusa oder Hamlet – alle drei verbindet man zumindest auf den zweiten Blick mit einem Schädel. Das mehr oder minder weise Haupt des Menschen hat diesen schon immer fasziniert. Und die Faszination ist noch lange nicht am Ende. PiratInnen (echte, nicht die politischen FreibeuterInnen), Motorrad-Gangs und AnhängerInnen des FC St. Pauli schmücken sich noch heute mit dem fleischlosen Gebilde aus verschiedenen Knochen. Irgendetwas muss also dran sein an den leeren Augenhöhlen und den ewig grinsenden Zähnen. Eine morbide Faszination, die uns mehr anzieht als dass sie uns abstößt. Dem Kult um den toten Kopf hat das LWL-Museum für Archäologie in Herne seit November eine Sonderausstellung gewidmet.
Der in den Ruhrgebietsbahnhöfen großflächig beworbene „Schädelkult“ mag vielleicht nicht das passende Thema für die Vorweihnachtszeit gewesen sein – jetzt kann man sich allemal dem sanften Nackenschauer aussetzen, den ein originaler Schrumpfkopf aus dem Amazonasgebiet beim Betrachter oder der Betrachterin hervorruft. Das Rezept ist eigentlich recht simpel, wird jedoch nicht für den Hausgebrauch empfohlen: Man nehme einen frisch erjagten Menschenkopf (falls nicht zur Hand, tut es auch einer vom Faultier) sowie etwas Sand. Die komplette Kopfhaut in einem Stück vom Knochen trennen und mit erhitztem Sand füllen, bis die gewünschte Schrumpfung eintritt. Gesichtszüge nach Geschmack modeliieren.
Schrumpfköpfe, die knochenlosen Schädel
Natürlich gehört eigentlich noch eine ganze Menge animistisch-religiöses Tam-Tam dazu, das aber keinen weiteren Effekt auf den derart behandelten Schädel hat. Wobei „Schädel“ in diesem Zusammenhang natürlich eigentlich das Vorhandensein von Knochensubstanz impliziert. Je nach Zählweise umfasst der menschliche Schädel anatomisch gesehen 22 bis 30 verschiedene Knochenteile. Ein Schrumpfkopf kann davon nicht einmal einen Bruchteil vorweisen. Beide Varianten, tierisch und menschlich, glotzen jedenfalls die geneigten BesucherInnen im LWL-Museum aus dem Halbdunkel an. Der Detailreichtum ist dabei ebenso faszinierend wie abstoßend. Laut begleitender Info-Schrift neben dem Exponat haben die indigenen KopfjägerInnen besonders auf die realitätsgetreue Gestaltung der Schädelbehaarung großen Wert gelegt. Akkurat frisierte, skurril anmutende Schnauzbärte sind eine Folge dieser Prioritätensetzung.
Ekelhafte Unterhaltung
Doch nicht nur im fernen Südamerika genießt der höchstgelegene Körperteil des Menschen besondere Wertschätzung. Die LWL-Ausstellung hält für jeden Kontinent Exponate von unterhaltsam bis ekelhaft parat.
Nicht überall werden die Schädel übrigens als Trophäe verstanden. Mitglieder eines Volkes in Ozeanien zeigen ihre Wertschätzung gegenüber den Ahnen, indem sie auf deren verblichenen Köpfen nächtigen. Einerseits mag das nach unruhigen Nächten klingen, aber welchen Schrecken hält die Nacht noch für jemanden bereit, der sich auf Totenschädeln bettet?
Keine Kerben im Kopf
Für fleißige Kinogänger sind zwei Bereiche sicher besonders interessant (es sei denn, das bevorzugte Genre ist Horror. Dann sollte die Suche nach einem passenden Ausstellungsstück nicht allzu langwierig ausfallen): Ein Kristallschädel, wie er von Indiana Jones nicht schöner hätte gejagt werden können, bricht das Vitrinenlicht, wie es nur ein Kristallschädel kann. Allerdings stammt das gute Stück nicht aus dem mysteriösen Maya-Gebiet Mexiko, sondern aus einer schnöden Werkstatt im pfälzischen Idar-Oberstein. Der Anlass für die Schädelkult-Ausstellung, die bereits in Mannheim gezeigt wurde, war der Fund der Schädelsammlung des Künstlers und Darwinisten Gabriel von Max. Wer sich mit den Exponaten des Phrenologen auseinandersetzt, muss unweigerlich an den aktuellen Tarantino-Film „Django Unchained“ denken. Nach Kerben im Hinterkopf sucht man allerdings in der kompletten Ausstellung vergeblich…
Sonderausstellung „Schädelkult“
Noch bis zum 14. April im
LWL-Museum für Archäologie
(U35 bis Haltestelle „Archäologiemuseum/Kreuzkirche“)
Eintritt 3 Euro
www.schaedelkult.lwl.org
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