Bei der dreitägigen Tagung von bufaS (Bündnis der Fachberatungsstellen für SexarbeiterInnen) Mitte November in Bochum wurde neben vielen Aspekten der Prostitution auch über den Straßenstrich gesprochen. Olivia Deobald von der Hamburger Beratungsstelle ragazza benannte einleitend einige Eckpunkte zum Straßenstrich: Ein klarer Vorteil der Arbeit auf der Straße sei der schnelle berufliche Ein- und Ausstieg. Die Frauen könnten ihre Preise selbst bestimmen und müssten meist keine Gebühren zahlen, wie etwa in Bordellen. Etwa 70 Prozent der Straßenprostituierten in Hamburg seien Migrantinnen. 90 Prozent der Frauen, die Drogen nehmen, gingen der Straßenprostitution nach, um ihren Konsum zu finanzieren.
Arbeitsmigration gab es – wie in allen dienstleistenden Bereichen – schon immer, so auch auf Hamburgs „roten“ Straßen. In den 1970ern vor allem Latinas, später Asiatinnen, heute Frauen aus den neuen EU-Ländern – dies stelle kein Novum dar, wie so oft behauptet. „Straßen-Migrantinnen werden zu einem gesellschaftlichen Problem gemacht“, so Deobald. Dies geschehe mit der Tendenz, Sexarbeit aus dem öffentlichen Raum zu vertreiben. Die Folgen: Kriminalisierung und Verdrängung. Wohin die Reise gehen kann, wurde in den folgenden Beiträgen erläutert.
Das Dortmunder Modell
Seit 2000 gab es in der Dortmunder Innenstadt den geregelten Straßenstrich, in einer Seitenstraße fernab von Privatwohnungen. Seit 2006 wurden dort Verrichtungsboxen aufgestellt. In diese fährt der Kunde mit dem Auto hinein und die vereinbarte sexuelle Dienstleistung wird dort erbracht. Sollte es durch den Kunden zu Gewalt gegenüber der Prostituierten kommen, so kann sie – und zwar nur sie – die Tür öffnen und einen Alarmknopf betätigen. Beratungsstellen waren am Straßenstrich vor Ort, wie auch die Polizei. Wenn Frauen den Eindruck hatten, eine Kollegin stünde unter Zwang oder habe andere Probleme, konnten die BeamtInnen und/oder SozialarbeiterInnen einschreiten und helfend zur Seite stehen. Etwa 70 bis maximal 150 Prostituierte arbeiteten täglich dort. Seit 2008 kamen mehr und mehr Menschen aus Bulgarien und Rumänien nach Dortmund, auf der Suche nach Arbeit und einer neuen Lebensperspektive. Sie meldeten sich dort zunächst an – viele blieben jedoch nicht. Die Frauen unter ihnen, die als Erwerbsarbeit der Prostitution nachgingen, hatten zum Teil in ihrer Heimat schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht, weshalb sie in Dortmund nicht mit den OrdnungshüterInnen kooperieren wollten. Dazu gab es sprachliche Hürden. Der große Zuwachs an MigrantInnen führte zu dem fadenscheinigen Argument der Stadt, dass der Straßenstrich abgeschafft werden müsse. Sich den Problemen dieser Menschen anzunehmen, das war für die Regierenden zu viel verlangt. Das Resultat: 2011 erfolgte der Abriss der Verrichtungsboxen. Und wo sind diese Frauen jetzt? Die Jüngeren zumeist in Clubs, die Älteren auf der Straße – illegalisiert.
Das Essener Modell
Durch eine Sperrgebietserweiterung im Jahr 2002 wurde ein künstlich angelegter Straßenstrich in der Innenstadt geschaffen, auf einem alten Kirmesplatz. An einer befahrenen Hauptstraße, abgeschirmt durch Bäume und Sträucher, mit Beratungsstellen und Verrichtungsboxen. 35 bis 40 Frauen arbeiten täglich auf dieser öffentlichen Fläche, die es der Polizei leicht ermöglicht einzugreifen, sollte dies erforderlich sein. Alle Zielgruppen werden dort erreicht: MigrantInnen, Drogenprostituierte und andere Huren. Das Resümee: Der Platz wurde sowohl von SexarbeiterInnen als auch Freiern angenommen. Eine Beratung kann vor Ort erfolgen, regelmäßig ist auch eine Ärztin dort. Es gibt keinen offiziellen Nebenstrich. Das Essener Modell gilt als Vorbild, z. B. für die Stadt Zürich.
Es geht auch ohne Sperrbezirk
Die Stadt Berlin hat als einzige deutsche Stadt keinen Sperrbezirk. Das bedeutet, im gesamten Stadtgebiet darf der Sexarbeit nachgegangen werden. Dies hat die logische Folge, dass es keine „Rote Meile“ gibt, wie etwa die Reeperbahn. Befragungen der AnwohnerInnen und der SexarbeiterInnen in den Gegenden, wo öffentlich Sex angeboten wird, haben ergeben, dass die Probleme vornehmlich in der Lärmbelästigung liegen. Gegen die Prostitution an sich sprachen sich die wenigsten aus. Dass sich an der Berliner Situation etwas ändert scheint unwahrscheinlich. Hingegen sind andere deutsche und europäische Städte nicht frei von der Idee, die Huren in Randbezirke zu drängen, in ungeschützte Gegenden, in denen sie gewalttätigen Freiern ohne Schutz ausgeliefert sind.
Das Image
Die Frage, warum diese massiven Verdrängungen und Kontrollen sowohl beim Straßenstrich, als auch bei anderen Formen der Prostitution stattfinden, blieb bei der Tagung offen. Ebenso die Frage, wie die Öffentlichkeit erreicht werden könne, um falsche medial inszenierte Bilder gerade zu rücken. Mechthild Eickel aus dem bufaS-Vorstand und Geschäftsführerin von der Bochumer Beratungsstelle Madonna brachte es auf den Punkt: „Prostitution hat kein Image!“ Eine sozialethische Debatte sei dringend nötig. Denn es gebe einen moralischen Gegenwind, einen Backlash mit Rechtsruck.
Sexarbeiterin Lilian erklärte nachdrücklich, dass MigrantInnen nicht die Sexarbeit bedrohen würden, so wie es teilweise medial präsentiert werde. „Es ist unser Kampf, der muss international geführt werden!“ bekräftigte sie ihren Standpunkt. Dass MigrantInnen stärker in die Diskussion einbezogen werden müssen, war offenkundig. Prostitution kann nicht abgekoppelt von Migration betrachtet werden. Und je repressiver die Politik, desto illegaler findet Sexarbeit statt.
Aus einer aufgeklärt-feministischen Perspektive ist Sexarbeit klar als Beruf zu verstehen. Dass es Menschen gibt, die sich FeministInnen nennen, aber in Bezug auf Prostitution einem rechts-konservativen und oft unreflektierten Denken verfallen sind, mit welchem sie zum Teil die Medien beherrschen, ist nicht nur für SexarbeiterInnen ein großes Problem, sondern ebenso für alle an wirklicher Gleichberechtigung und Solidarität interessierten FeministInnen.
Und in der Zukunft?
Die bufaS-Tagung bot weit mehr als nur einen regen, internationalen Austausch. Es sind Kenntnis und Kraft vorhanden, die in Zukunft aktiv genutzt werden müssen, um weiteren Repressionen und Stigmatisierungen geschlossen entgegenzutreten. Die nächste Tagung wird 2014 in Berlin stattfinden. Für die VeranstalterInnen und Gäste bleibt zu hoffen, dass sie dann nicht erneut über dieselben Probleme sprechen müssen, sondern dass es bis dahin in rechtlicher und sozialer Hinsicht positive Entwicklungen gegeben haben wird, dass Sexarbeit endlich Anerkennung und Akzeptanz als Wirtschaftszweig findet.
Mareen Heying
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