Sie treiben wieder ihr Unwesen, und das ist auch gut so: Im Semestertakt präsentiert die Literaturinitiative Treibgut junge Literatur aus der Ruhr-Universität und ihrem Umfeld auf ihren Gestrandet-Lesungen. Dieses Wintersemester aber ist ein ganz besonderes: Das Treibgut strandet nämlich nicht nur im KulturCafé, sondern auch im Freibeuter im Bermuda3eck und trägt in den darauffolgenden Wochen die Campusliteratur noch weit über den „Hafen des Wissens“ hinaus. Anlass ist das zehnjährige Bestehen der Initiative und die Präsentation der Jubiläumsanthologie „Treibgut – Pandoras Büchsenöffner“.
„Komm mit auf die Reise und lass Dich einfach treiben!“, liest man auf dem Klappentext der am 28. November erstmals der Öffentlichkeit präsentierten Textsammlung. „Von epischen Posaunenklängen begleitet geht es zwischen gefühlvoller Lyrik und absurder Prosa vorbei an satirischen Spitzen mitten hinein ins Wortspiel-Inferno. Von dort nur einen Seitenhieb entfernt winken schließlich die rettenden Gestade der Postapokalypse…“ Ist die Postapokalypse wirklich die Rettung? Kann man das Unheil nicht irgendwie abwenden, Pandora den Büchsenöffner im letzten Moment aus der Hand reißen? Die Auslegung des Themas blieb den Autorinnen und Autoren genauso überlassen wie die Form ihrer Texte. So fragt sich der Bochumer Poetry-Slammer Sebastian23, was einem zu dem Thema einfallen könnte und sucht Antworten im Wald, Jennifer Schareina packt eine Kettensäge aus Pandoras Box aus, die Co-Herausgeber Johannes Till Opfermann und Ulrich Schröder nähern sich dem Thema mit Liedern und Gedichten beziehungsweise mit mehrseitigen Satiren an.
Gestrandet extended
Damit verfolgt das Buch ein ähnliches Konzept wie die „Gestrandet“-Lesungen, die die Literaturinitiative Treibgut jedes Semester im KulturCafé veranstaltet. Zwar ohne Live-Vortrag und Kulturcafé, dafür werden aber auf 230 Seiten weitaus mehr Texte geboten als in zwei bis drei Stunden bei einer Lesung. Die Tugenden und Stärken von Treibgut sind aber im Buch wie auf der Bühne die gleichen: Alle, die wollen, dürfen mitmachen (getreu dem Leitsatz von Treibgut, junge Literatur zu fördern), es gibt prominente Gäste und eine unglaublich breit gefächerte Auswahl an Texten, die sich am wortverspielten Thema orientieren können, aber nicht müssen.
Allein für die Anthologie zählt Ulrich Schröder, einziges weiterhin verbliebenes Treibgut-Gründungsmitglied, auf: „Die Texte sind verschiedenen Gattungen wie Lyrik, Prosa, Satire, Essay und Dramulett zuzuordnen und setzen sich – passend zum herannahenden Ende das Maya-Kalenders – mit dem endzeitlichen Pandora-Mythos auseinander.“ Johannes Till Opfermann, der seit 2008 bei Treibgut und selbst mit vier Texten im Buch dabei ist, ergänzt: „Ein wunderbar gestaltetes Pappcover mit über zweihundert Seiten voller Gedichte, Geschichten, Satiren, drei Posaunen und einem Paukenschlag dazwischen.“ Antonia Rumpf, ebenfalls Mitglied der Literaturinitiative, hebt positiv hervor, was auch für die Lesungen gilt: Die „Mischung von Schreibenden aus allen möglichen ‚Prominenzklassen‘“.
Von Prominenz und Kompetenz
Dass mangelnde Prominenz aber noch lange nicht mangelnde Kompetenz bedeutet, beweist Treibgut seit nunmehr zehn Jahren. Dieses Jubiläum ist nicht nur schön rund, es ist auch noch ein erstaunlich hohes für eine studentische Initiative. Ulrich Schröder sagt dazu: „Die Zusammensetzung der Gruppe hat sich seit der Gründung im Sommersemester 2002 natürlich stark gewandelt, zumal sich seit der Einführung des Bachelor die durchschnittliche Studiendauer stark verkürzt hat. Im Gegensatz zum Internationalen Videofestival, das 2012 erstmals nicht stattfinden konnte, ist es uns trotz des Kreditpunkte-Terrors als Folge gestufter Studiengänge gelungen, die Zahl der Aktiven nicht nur zu halten, sondern sogar zu vergrößern.“ Dies zeige, wieviel „Inspirationskraft“ Treibgut ausstrahle und dass es „auch künftig fester Bestandteil der Campus-Kultur bleiben wird“. Längst dem Studium entwachsen, pflegt ein Altmitglied aber immer noch Kontakte mit Treibgut und als Dozent mit der Uni: Oliver Uschmann, Autor der bestens verkauften „Hartmut und ich“-Romanreihe. Als Publikumsmagnet wird er bei der zweiten der Premierenlesungen zusammen mit den Treibgut-„Literaturpiraten“ auf der Bühne stehen.
Treibgut schmeißt jetzt Gigs – sonst ändert sich nix!
Zehn Jahre – dieser Geburtstag muss natürlich auch gefeiert werden. Philipp Dorok, seit 2008 engagierter Literaturpirat, der „nach über 50 Stunden Lektorat und Layoutarbeit“ (als einer von sechs RedakteurInnen) alle Texte der Anthologie „gleich gerne“ mag, sieht, wie die anderen Treibgütlinge auch noch viel Potential. Im Namen der Literatur (und nicht nur dieser Kunstform) soll es erstmals auch über die Stadtgrenzen hinausgehen: „Im Rahmen der Buchpräsentation wollen wir mehrere Orte in NRW bereisen und auch 2013 auf den großen Buchmessen und in Wien präsentierend präsent sein. Wir wollen auch unser musikalisches Repertoire durch Zusammenarbeit mit regionalen Künstlern weiter ausbauen, so dass wir auf unseren Veranstaltungen wirklich viel zu bieten haben werden. Treibgut schmeißt jetzt Gigs – sonst ändert sich nix!“ Allerdings will die LiteratInnentruppe ihre „ursprünglichen Ziele, wie z.B. die aktive Förderung von jungen Campus-Autoren und Campus-Autorinnen, dabei nicht aus den Augen verlieren“, so Dorok weiter.
So sind bis März nächsten Jahres schon einige weitere Lesetermine geplant, etwa in den Stadtbüchereien Bochums, aber auch in Kamen und in Essen. Die nächsten Lesungen mit aktiven und ehemaligen Mitgliedern sowie mit Gästen finden unter dem Motto „Die Welt ist eine Schreibe“ im KulturCafé an der Ruhr-Univerität am 28. November und am 2. Dezember im „Freibeuter“ im Bermuda3eck statt, wo auch regelmäßig Poetry Slams ausgetragen werden.
„Treibgut – Pandoras Büchsenöffner“
hg. v. Ulrich Schröder, Philipp Dorok,
Tim Kollande, Johannes T. Opfermann,
Julia Piel u. Antonia Stoodt
Europäischer Universitätsverlag 2012
9,90 Euro
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