Das 1993 eingeführte Sondergesetz schließt bestimmte Gruppen von Nicht-Deutschen von den sonst üblichen Sozialleistungen aus. Unter dem Eindruck der rassistischen Übergriffe, Mordanschläge und Pogrome gegen Flüchtlingsunterkünfte hatte die Regierung Kohl damals reagiert, indem sie ausgerechnet diejenigen weiter diskriminierte, die von der rechten Gewalt betroffen waren. Seitdem haben Flüchtlinge zum Beispiel keinen Anspruch mehr auf Sozialhilfe, sondern bekommen eine willkürlich festgelegte Pauschalsumme, die inzwischen um 40 Prozent unter Hartz-IV-Niveau liegt.
Weit unter dem Existenzminimum
In harten Zahlen ausgedrückt: Erwachsene Flüchtlinge bekommen nur 224 Euro – und das, obwohl vielen von ihnen gleichzeitig ausdrücklich verboten wird, eine Arbeit aufzunehmen. Damit werden sie in die absolute Armut gezwungen und müssen zum Teil sogar hungern. Kinder stehen noch schlechter da. Am stärksten fällt die Kürzung bei Sechsjährigen aus: Sie erhalten 47 Prozent weniger als gleichaltrige Kinder im Hartz-IV-Bezug. Für ein sechsjähriges Kind liegt das Existenzminimum nach aktuellen Hartz-IV-Gesetzen bei 251 Euro monatlich, ein gleichaltriges Flüchtlingskind muss mit 132 Euro auskommen. Das sind 4,40 Euro pro Tag für Nahrung, Kleidung, Hygiene, Bildung und so weiter. Obwohl die Preise seit 1993 um 35 Prozent gestiegen sind, wurden die Summen für Flüchtlinge niemals erhöht. Dass im Gesetz sogar selbst festgehalten ist, dass die Höhe der Zahlungen jährlich angepasst werden soll, kümmerte die Regierungen ebenso wenig wie die beständige Kritik von Sozialverbänden an dem in ihren Augen rassistischen Sondergesetz.
Landessozialgericht: Verfassungswidrig!
Aufgrund der jetzt anhängigen Klage kam bereits das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zu dem Ergebnis, dass das Gesetz verfassungswidrig ist. Deshalb liegt es dem Bundesverfassungsgericht nun zur Prüfung vor. Die NRW-RichterInnen bezogen sich bei ihrer Entscheidung auf das Karlsruher Urteil zu den Hartz-IV-Regelsätzen, nach dem die Höhe der staatlichen Sozialleistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums transparent und nachvollziehbar ermittelt und bedarfsdeckend sein müssen. Dies sei bei dem Sondergesetz, das ausgerechnet häufig sowieso schon traumatisierte Flüchtlinge maßgeblich schlechter stellt als andere Bedürftige, nicht der Fall.
Schlimmer geht immer
Geklagt hatten Flüchtlinge aus NRW, die die Leistungen in Form von Bargeld erhalten. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl weist darauf hin, dass die Einschränkungen des Existenzminimums etwa in Bayern oder Baden-Württemberg noch gravierender sind. Dort werden die Flüchtlinge regelmäßig in Sammellager eingewiesen, erhalten minderwertige Kleidungs- und Essenspakete als „Sachleistung“, und dazu lediglich einen „Barbetrag“ von knapp 41 Euro im Monat. Davon muss der gesamte persönliche Bedarf an ÖPNV-Tickets, Telefon, Porto, Rechtsanwalt, Internet, Schreibmaterial, Bildung, Kultur, Freizeit bezahlt werden – sowie alles Notwendige, was nicht in den Paketen ist. Selbst im Hartz-IV-Regelsatz, den viele ExpertInnen für unzureichend halten, ist für die entsprechenden Bereiche das Dreifache als Existenzminimum angesetzt. Daher steht auch die Höhe dieses „Barbetrags“ in Karlsruhe auf dem Prüfstand.
Untätigkeit wider besseren Wissens
Dass das Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig ist, hat die zuständige Bundesministerin für Arbeit und Soziales Ursula von der Leyen bereits am 10. November 2010 in einer Antwort auf eine Bundestagsanfrage mitgeteilt. Das Gesetz entspreche „nicht den Anforderungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts“ zu Hartz IV, räumte sie damals ein. Dennoch hat sich an der Situation bis heute nichts geändert. „Es ist skandalös, dass Frau von der Leyen noch immer Tausenden Flüchtlingen das gesetzlich festgelegte Existenzminimum verweigert“, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl.
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