Einzelne Vertreter_innen der Ruhrgebiets-Kommunen drücken es noch härter aus: „Der Solidarpakt Ost ist ein perverses System, das keinerlei inhaltliche Rechtfertigung mehr hat“, so Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau. Auch die Bochumer Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz bezog zum Solidarpakt deutlich Stellung: „Seit 20 Jahren zahlen die Städte des Ruhrgebiets in den Solidaritätspakt Ost ein. Insgesamt flossen 156 Milliarden Euro an Finanzhilfen, um den Aufbau Ost zu unterstützen, allein Bochum zahlte bisher 341 Millionen Euro. Das Geld wurde in der wirtschaftlich schwachen ehemaligen DDR dringend benötigt. Jedoch können sich die Städte im Ruhrgebiet die Zahlungen nicht länger leisten und brauchen hier das Geld für dringend notwendige Investitionen in Bildung und Infrastruktur.“ In der Not ist sich bekanntlich immer jede_r selbst der oder die Nächste. Westdeutsche Kommunen müssen teilweise Schulden aufnehmen, um den Solidarpakt finanzieren zu können. Deswegen ist diese Debatte emotional durchaus nachvollziehbar, doch führt sie an den wirklichen Problemen vorbei und versucht den Faktor Neid in den Vordergrund zu stellen.
Schulden für blühende Landschaften
Nach der deutschen Wiedervereinigung versprach der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl blühende Landschaften in der ehemaligen DDR. Die Chancen einer Wiedervereinigung auf Augenhöhe wurden jedoch gegen eine Annektierung an die alte Bundesrepublik eingetauscht. Die ostdeutschen Bundesländer wurden deindustrialisiert und gut ausgebildete Menschen durch die D-Mark in den Westen gelockt. Die ehemalige DDR wurde durch die übereilte Wiedervereinigung weiter zugrunde gerichtet, um sie dann mit sehr viel Geld wieder aufzubauen. Die einzigen, die durch diese Politik profitiert haben, waren westdeutsche Unternehmen.
Nun kurz zu den Fakten: Insgesamt sinddurch den Solidarpakt I in den Jahren von 1995 bis 2004 genau 94,5 Milliarden Euro in den Osten geflossen und durch den Solidarpakt II werden noch bis 2019 weitere 156,5 Milliarden Euro an die neuen Bundesländer gehen. Derzeit gibt es Diskussionen, ob es einen Solidarpakt III geben soll oder nicht. Darüber hinaus wird auf Lohn, Einkommen und Kapitaleinkünfte ein Solidaritätszuschlag erhoben, dieser betrug bis 1997 7,5 Prozent und seit dem 5,5 Prozent, daraus sind geschätzt noch einmal bisher 150 Milliarden Euro zusammengekommen. Diese fließen jedoch in den Bundeshaushalt, ohne, dass sie zweckgebunden für die neuen Bundesländer ausgegeben werden müssen. Den größten Beitrag mussten jedoch die Rentenkassen zahlen, hier wurden Schulden durch die deutsche Einheit von über einer Billion Euro angehäuft.
Solidarität am falschen Ende
Trotzdem hinken die neuen Bundesländer in vielen Punkten weiter hinterher. Die Einkommen sind niedriger, die Arbeitslosenzahlen höher, die Renten niedriger und die Geburtenrate fällt weiter ab. Immer noch ziehen viele junge Menschen in den Westen, ganze Städte veröden und werden für viel Geld zurückgebaut. Aus diesen Gründen fließt viel Geld in den Osten und dies wäre auch einfach so weitergegangen, wenn nicht auch westdeutsche Kommunen, insbesondere in Hessen und NRW in ähnliche Nöte bekommen wären. Doch einfach weiter Geld in den Osten zu pumpen, hilft nicht weiter. Es braucht andere Lösungen: Zu allererst müssten die Löhne und Gehälter in Ost und West endlich angeglichen werden, auch die Renten. Nur so können Menschen dazu bewegt werden in der Region zu bleiben. Es muss Geld in Bildung und innovative Arbeitsplätze gezielt in Ostdeutschland investiert werden, anstatt weiter in Infrastruktur. Mit viel weniger Geld könnte den neuen Bundesländern mehr geholfen werden, als derzeit. Und, um armen Kommunen – egal, ob in West oder Ost – zu helfen, muss es einen kommunalen Finanzausgleich geben, in den bundesweit reiche Kommunen einzahlen und aus den arme Kommunen unterstützt werden. So könnte das gleiche Geld, nur besser verteilt, zu viel mehr Gerechtigkeit führen.
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