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Sie wollen Glamour und gefallen. Stattdessen bekommen sie körperliche und seelische Langzeitschäden und eine verzerrte Körperwahrnehmung. Trotzdem raten  betroffene Frauen in diversen Webforen und Blogs dazu, Essig zu trinken, Diätpillen zu schlucken und die Packungsbeilagen konsequent zu ignorieren. Oder sie empfehlen, Abführmittel zu benutzen und sich in den eigenen Magen zu schlagen, sobald er knurrt. Sie sind selbst ihre härtesten Kritikerinnen und bestrafen sich mit großer Härte für „Rückfälle“ – also normaleres Essverhalten.

Spätfolgen und Langzeitschäden

Insulinschwankungen, Zahn-, Herz-und Magenprobleme. Das alles sind weitere Folgen, die bei Essstörungen auftreten können. Ein Großteil der Aktiven in den Foren setzt sich trotzdem dafür ein, dass Anorexie und Magersucht nicht als Erkrankung, sondern als eine positive Lifestylewahl unter vielen wahrgenommen wird, mit der sich auch ohne Therapie oder Klinikaufenthalt gut leben lässt. Einige stilisieren langjährige Essstörungen auch dann noch zu einem legitimen und unproblematischen Lebensstil, wenn sie bereits mit ernsthaften gesundheitlichen Begleiterscheinungen und Spätfolgen zu kämpfen haben.
Ana und Mia sind keine Mädchennamen, sondern verniedlichende Synonyme für Anorexia nervosa (Magersucht) und Bulimie (Ess-Brech-Sucht), zu deren Spätfolgen sogar Unfruchtbarkeit gehören kann. Einige Bulimikerinnen essen in manchen Perioden sehr wenig und bekommen dann Fressanfälle. Im Anschluss müssen sie sich übergeben. Dabei erbrechen sie irgendwann nicht mehr nur Nahrung, sondern auch Blut und nehmen sogar innere Organschäden billigend in Kauf. Manche riskieren ihren Tod, andere streben ihn indes bewusst an. Dennoch werden diese Formen der Essstörung bisweilen bis zum Äußersten verherrlicht. Restriktives Essverhalten trifft hierbei auf ein extremes Schlankheitsideal.

Junge Mädchen zwischen elf und 18 Jahren bitten in öffentlichen Foren oder im Kommentarbereich von Abnehm-Blogs um Tipps, wie sie am besten Brechreiz auslösen können, weil sie sich zu dick fühlen und unbedingt abnehmen wollen. Ein Großteil derjenigen, die von einer Essstörung betroffen sind, weigert sich zwar vehement, Auskünfte dieser Art zu geben. Dennoch werden die Warnungen derjenigen, die ihre Erkrankung oft vergeblich in den Griff zu bekommen versuchen, oftmals leichtfertig in den Wind geschlagen oder geflissentlich ignoriert. Ein erfolgreiches, glückliches Leben und Anerkennung gehören nicht unbedingt zu den Dingen, die diese Mädchen und Frauen bekommen. Stattdessen leiden sie irgendwann unter Haarverlust, übersäuerten sowie verätzten Speiseröhren und Kreislaufzusammenbrüchen. Wie der Drang, sich zu übergeben zu einer Sucht werden kann und warum es für Betroffene so schwierig ist, wieder zu einem unbelasteten Umgang mit Essen zu finden, erklärt ein Forumsmitglied. LouieLouie schreibt: „Kotzen ist wie Heroin. Heroin kannst Du absetzen, indem Du`s aus deinem Leben verbannst. Essen muss man immer.“

Wie Moss und Knightley

Um besser abnehmen zu können, suchen sich manche einen „Twin“ mit ähnlichen Körpermaßen und Gewicht. „Twins“ begleiten und motivieren sich gegenseitig bei ihrem Vorhaben, Gewicht zu verlieren. Obwohl Frauen einen durchschnittlichen Tagesbedarf von etwa 2000 Kalorien haben, um ausreichend mit Nährstoffen versorgt zu sein, zwingen sich einige zu einer täglichen Ration von gerade einmal 300 Kalorien, führen detaillierte Diättagebücher und setzen sich mit so genannten Thinspirations unter Druck. Die Wortneuschöpfung ist eine Kombination aus „thin“ und „inspiration“. Dabei dienen (meist retouchierte) Fotos von vermeintlichen Schlankheitsikonen wie Kate Moss, den Olsen-Schwestern oder Keira Knightley zur Motivation. Immer wieder sind auch magersüchtige und stark untergewichtige Frauen dabei, die als Zielvorlage für die Hungernden benutzt werden.

Anas Brief

Auf vielen Blogseiten findet sich auch „Anas Brief“. In diesem richtet sich die Essstörung als eine Art eigenständiger Person mit Anweisungen an die Betroffene: „Tief in ihrem Inneren sind deine Eltern von dir enttäuscht. Aus ihrer Tochter, der mit all dem Potenzial, ist ein fettes, faules Mädchen geworden, das alles, was es hat, nicht verdient hat.“ Dieser Text bestärkt Betroffene darin, über ihre Probleme zu schweigen und ihre Essstörung vor Eltern und Freunden zu verheimlichen. Darüber hinaus wird dieser Brief von einigen Mädchen zur Lebensmaxime erhoben. Weiter heißt es darin: „Jetzt bin ich deine einzige Freundin. Ich habe eine Schwäche. Aber wir dürfen keinem davon erzählen. Wenn du dich entscheidest gegen mich zu kämpfen, jemanden zu erreichen und ihm zu erzählen, was ich aus deinem Leben mache, wird alles zusammenbrechen! Niemand darf es erfahren. Ich habe dieses dünne, perfekte, beneidenswerte Kind geschaffen. Ohne mich bist du nichts.“

Bei einer strengen Dokumentation jeder Mahlzeit und entsprechendem Kalorienzählen während der Nahrungsaufnahme geht es den Betroffenen darum, sich weniger fremdbestimmt zu fühlen und stattdessen selbst zu kontrollieren. Damit reagieren sie auf Gefühle von Ohnmacht und ausgeliefert sein. Dass die eigentlichen Ursachen für die Entwicklung eines gestörten Essverhaltens oftmals nicht durch tatsächliches Übergewicht motiviert ist, wird nur in wenigen Foren angesprochen und diskutiert. Treten Essstörungen auf, so ist das für viele Psychologen, in erster Linie ein Zeichen für eine Abwehr von Fremdbestimmung. Es gibt fast immer ein tiefer liegendes psychisches oder soziales Problem.

Hilfsangebote

Psychologische Beratung der RUB:
www.ruhr-uni-bochum.de/zsb/psych-beratung.htm

Hungrig e.V.  (Bundesfachverband
Essstörungen):
www.magersucht-online.de

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