Man sei sich einig, dass Netzneutralität ein hohes Gut sei, so der Vorsitzende Klaus Teuber (CDU). Es gebe „nur Meinungsunterschiede, wie diese zu gewährleisten sei.“ Die Abgeordneten und Sachverständigen des Regierungslagers sehen derzeit keinen Regelungsbedarf und vertrauen voll und ganz dem freien Markt. SPD, Grüne und Linkspartei samt ihrer ExpertInnen hingegen fordern, der Bundesnetzagenturen Instrumentarien zur Regelung an die Hand zu geben. Schlussendlich standen bei den strittigen Punkten 17 gegen 17 Stimmen, so dass der beschlossene Text keine einheitliche Handlungsempfehlung an den Gesetzgeber beinhaltet. Es war der nunmehr dritte Anlauf für den um ein halbes Jahr verspäteten Zwischenbericht über Netzneutralität.
Schlüsselbegriff für ein freies Netz
Netzneutralität bezeichnet die wertneutrale Datenübertragung im Internet. Zugangsanbieter müssen somit alle Datenpakete von und an ihre KundInnen unverändert und gleichberechtigt übertragen, unabhängig davon, woher diese stammen oder welche Anwendungen die Pakete generiert haben. Initiativen aus BürgerInnen und KünstlerInnen sowie Vereinigungen wie der Chaos Computer Club und der FoeBud sehen Netzneutralität als Fundament für die Meinungsfreiheit, Klassenlosigkeit und Innovationskraft des Internets an. Kommerzielle Interessen stehen dem allerdings oft entgegen. Einige Zugangsanbieter haben beispielsweise vor, von Google Geld dafür zu verlangen, dass die UserInnen überhaupt Zugang zur populären Suchmaschine haben. Auf der anderen Seite blockiert T-Mobile schon heute auf dem iPhone die Datenpakete des Programms Skype, mit dem kostenlose Internettelefonie möglich ist.
Es gibt aber auch technische Bedenken: Dienste wie Videostreaming verursachen ein sehr hohes Datenaufkommen, das in Zukunft durch Techniken wie Internetfernsehern wohl noch stark anwachsen wird. So warnen Provider bereits jetzt vor einem zukünftigen „Stau“ im Internet, wenn alle Daten weiterhin gleich schnell übertragen werden sollen. Deswegen fordern die Zugangsanbieter Diensteklassen, um beispielsweise Filesharing oder Videostreaming künstlich zu verlangsamen. Umstritten ist, inwiefern diese Diskriminierung bestimmter Übertragungsarten unabhängig vom Inhalt bereits gegen Netzneutralität verstößt. Darin konnten sich Regierungsbank und Opposition ebenfalls nicht einig werden. Der von den Grünen benannte Sachverständige Markus Beckedahl sprach vom „Mythos der Kapazitätsengpässe“, weil die Netzanbieter im Vorhinein keine Belege dafür vorlegen konnten. Der FDP-Sachverständige Hubertus Gersdorf hingegen hält Diensteklassen gar für gute Möglichkeiten zur Produktdifferenzierung: Seine Mutter solle doch nur die Dienste bezahlen, die sie auch in Anspruch nehme, „während Gamer nur die für sie relevanten Dienste bezahlen sollten.“
Bundestag hat letztes Wort
Obwohl die Enquetekommission auf keinen grünen Nenner kam, muss kommenden Donnerstag der Bundestag über eine Novellierung des Telekommunikationsgesetzes entscheiden, um europäische Vorgaben zur Wettbewerbspolitik und Verbraucherschutz umzusetzen. Die Kanzlerinnenmehrheit wird dann höchstwahrscheinlich sämtliche Vorstöße für ein neutrales Netz abblocken.
Die Partei, deren Mitglieder die meiste Fachkompetenz für sich in Anspruch nehmen, darf diese Debatte nur von der Zuschauerbank betrachten. Benjamin Siggel von der Piratenpartei meint: „Ein hervorragend ausgebautes, freies und diskriminierungsfreies Netz sicherzustellen, darf genauso wenig den Gesetzen des Marktes überlassen werden wie das Straßennetz oder andere existenzielle öffentliche Infrastrukturen. Während vor kurzem die Niederlande die Netzneutralität gesetzlich verankert haben und insbesondere im asiatischen Raum massiv in den Ausbau der Netzinfrastruktur investiert wird, fehlt der deutschen Regierung nach wie vor das Bewusstsein und der politische Wille, die Herausforderungen des Informationszeitalters anzunehmen.“
In den Niederlanden wurde im Juni diesen Jahres Netzneutralität im Mobilfunk gesetzlich vorgeschrieben. Skypen im Coffeeshop ist also kein Problem, im Bundestag schon.
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