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Trotzdem interessierten sich bis 2011 weder Stadt noch Presse besonders für die Herkunft dieser Menschen, für ihre Motive herzukommen und für ihre Ausbeuter. Nachdem eine RN-Delegation mit einer Art Kriegsberichterstattung aus dem bulgarischen Plovdiv zurückgekommen war und die Nordstadt-SPD durchgesetzt hatte, dass ihr Oberbürgermeister nun den „eisernen Besen“ zu schwingen habe, kippte Ende Februar 2011 das jahrelange öffentliche Desinteresse in eine sich verselbständigende Kampagne. Dreieinhalb Monate lang immunisierte sich eine heißlaufende Täterberichterstattung völlig gegen Perspektivwechsel. Von März bis Juni schaffte es so gut wie kein Leserbrief, keine Pressemitteilung, kein Nordstadt-Akteur mit Erfahrungen aus erster Hand in die beiden Dortmunder Tageszeitungen.

Die Kampagne begann mit dem Herstellen von Überlegenheit. Martialische Sicherheitsdienste räumten medienwirksam sogenannte „Ekelhäuser“, die den vermeintlichen kulturellen Tiefstand der Bewohner illustrierten. Die Information, dass diese Häuser eine zum Teil zehnjährige Geschichte haben, wurde verschwiegen. Die leicht widerlegbare Behauptung der Besitzer, durch die „Besetzung“ der Häuser an Renovierungsarbeiten gehindert worden zu sein, wurde nicht recherchiert. Niemand in Dortmund erfuhr von den Matratzenvermietungen und ihren Profiteuren. Abgesehen davon bleiben nicht abtransportierter Müll, defekte sanitäre Anlagen und überbrückte Stromleitungen Kennzeichen prekären Wohnens und sind kein ethnischer Lifestyle.

Im zweiten Schritt wurde aus Fremdheit / Unterlegenheit eine Bedrohung gemacht. Ein vom Landeskriminalamt (LKA) offensichtlich geweckter Polizeipräsident erfuhr, dass in Dortmund gemeldete bulgarische Staatsbürger in NRW Eigentumsdelikte begingen und erkannte eine „lawinenartige Entwicklung“. Im vierten Jahr der Zuwanderung. Die Vorsitzende der Nordstadt-SPD, die den Takt vorgab, hatte beobachtet, dass ein bulgarischer Zuhälter eine Anwohnerin verprügelt habe. Die anekdotische Evidenz reichte der WAZ/WR, um fortan als Ersetzung für männliche Roma „Menschenhändler“ zu verwenden und leitete zur Lösung über, den Strich als Ursache von Zuwanderung und Kriminalität zu schließen und Straßenprostitution in Dortmund zu verbieten.

Zu diesem Zeitpunkt Mitte März hatte die Rhetorik der Nordstadt-SPD rechtsstaatliche Normen schon hinter sich gelassen: „Mit Multikulti-Romantik lässt sich dieser Kampf nicht gewinnen. Wir müssen diese Verbrecher aus Dortmund vertreiben und verhindern, dass weitere zuwandern.“ Das wurde so gedruckt. Mit Überflutungsmetaphern, dem Sprechen über „Horden“ und „Rudel“ und panikartigen Aufmachern („Warme Tage locken Roma nach Dortmund“ WAZ/WR) wurde ein Klima geschaffen, in dem sich antiziganistische Geschichte aktualisierte. Völlig unkommentiert berichteten die Zeitungen, dass eine Hausbesitzerin im Schlachthof abgetrennte Pferdebeine gekauft habe, um damit Roma aus ihrem Haus zu vertreiben. Schlusssatz der zitierten Polizeipresse: „Ob die Füße die erhoffte Wirkung zeigten, ist nicht geklärt.“ Bei den Ruhr Nachrichten verwischte zunehmend der Unterschied zwischen Straftätern und Volksgruppe. Die für jeden sichtbare Erwerbstätigkeit der Roma verschwand 2011 völlig aus der Berichterstattung; zugunsten des Zigeunerklischees von Arbeitsscheu, Diebstahl und Schmutz – sowohl in Bezug auf Hygiene als auch auf Sexualität.

Einzige Lösung schien die Schließung des Straßenstrichs. Als diese schon beschlossen war, berichteten die Zeitungen über eine „Demonstration“ der Nordstadt-SPD. Unter dem Motto „Wir blasen ohne Gummi“ wurden die auf dem Strich arbeitenden Roma-Frauen mit „flotter Blasmusik“ verhöhnt. Jetzt wurde der erste kritische Leserbrief gedruckt. Auch in den Redaktionen schien jemand von historischen Bildern heimgesucht worden zu sein.

Inzwischen patrouilliert eine 200-köpfige „Task Force“ durch die Nordstadt, sanktioniert Prostituierte in den Wohngebieten und macht vermeintlichen Roma mit Personenkontrollen den Aufenthalt im öffentlichen Raum schwer. Sexuelle Ausbeutung, Sklavenarbeit, Mietwucher? Alles noch da. Aber das hat ja noch nie interessiert.

Bastian Pütter ist leitender Redakteur des Straßenmagazins bodo. Beim Alternativen Medienfestival diskutiert er ab 20 Uhr mit über das Thema „Öffentichkeit selber machen“.

 

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