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„Wir hatten plötzlich Texte über“, erinnert sich Herausgeber Stefan Laurin über die Anfänge der Ruhrbarone. Als das Blog im Dezember 2007 online ging, sah es in der lokalen Presselandschaft mau aus. Das Stadtmagazin „Marabo“ hatte die Produktion eingestellt, ebenfalls schlossen Taz und Süddeutsche ihre Regionalredaktionen im Ruhrgebiet. Der Misere entgegentretend, taten sich eine Handvoll JournalistInnen zusammen und starteten das Projekt Lokalblog. „Ein Text pro Tag“ – das sei die erste Zielmarke gewesen, so Laurin. Schnell wurde es mehr. Mittlerweile schreiben über dreißig Leute für das Blog. Die Gruppe selbst könnte nicht heterogener sein. Viele professionelle JournalistInnen sind dabei, aber auch Studierende und Kreative. PolitikerInnen, WissenschaftlerInnen und UnternehmerInnen liefern immer wieder Gastbeiträge. Besonders die große Altersspanne der Beteiligten sorgt für immer neue Blickwinkel. „Bei uns schreiben Menschen von 24 bis 65 Jahren. Momentan verjüngt es sich, zudem wird es weiblicher“, so Laurin.

Obwohl die Ruhrbarone weit hinter den Spitzenreitern „Netzpolitik“ oder „Nerdcore“ liegen, behauptet das Blog mittlerweile den ersten Platz im Ranking der Lokalblogs. „Wir haben 7.000 bis 18.000 Leser pro Tag“, berichtet Laurin. Wobei die Erhebung der Unit Visitors nicht frei von Tücken sei. Wie viele BesucherInnen einer IP tatsächlich die Texte lesen würden, sei schwer auszumachen. Denn nicht jeder Leser zählt als Klick.    

Die Netz-Pioniere

Im Netz ist Stefan Laurin seit ’94. Eine düstere Zeit mit langsamen Verbindungen und hohen Kosten. Rainald Goetz schrieb noch ’98 in seinem Online-Tagebuch „Abfall für Alle“ von einer digitalen „Steinzeit“. Laurin hingegen war von Anfang an begeistert von den neuen Möglichkeiten. Noch heute zitiert er in diesem Zusammenhang gerne McLuhan und spricht von einer Erweiterung der Sinnesorgane. „Das Einwählen war damals noch ein siebenstufiger Prozess“, erinnert er sich. „Google gab es noch nicht.“  Ein Jahr später fand das Netz durch das kostengünstige Angebot von Netsurf (30 DM plus Telefongebühren) eine weitere Verbreitung und wurde gleichsam ein Thema in den Medien. Als ’96 schließlich das Stadtmagazin Marabo das erste journalistische Online-Angebot im Ruhrgebiet startete, war Stefan Laurin dabei. Ein Pionier der ersten Stunde.     

Legenden der Leidenschaft

„Geld verdienen kann man mit dem Bloggen allerdings nicht“, erklärt Laurin. Dieses Privileg sei nur sehr wenigen Bloggern vorbehalten. „Das Geld, das die Ruhrbarone erzielen, reicht aus, die laufenden Kosten zu decken und vielleicht mal eine Runde in der Kneipe zu spendieren, aber reich wird man mit dem Bloggen nicht.“ – Ernüchternde Botschaften aus dem Marktsegment 2.0. Von der Goldgräberstimmung der „Digitalen Boheme“ à la Holm Friebe und Sascha Lobo ist nicht viel übriggeblieben. Google-Ads bringen Peanuts, Micropayment lässt die Kasse gähnen. Was zählt, das ist die Aufmerksamkeitsökonomie. „Wir schreiben aus Leidenschaft“, bekennt Laurin. Entgegen der Arbeit in alteingesessenen Zeitungredaktionen gewähre das Bloggen einen hohen Grad an Autonomie. Es schreibe sich freier im Blog als anderswo. Es gebe keine Redaktionskonferenzen, kein Agenda-Setting. Hauptsache die Qualität stimmt.

Zugegeben: Sogenannter „User-Generated Content“ verfügt nicht über den besten Leumund. Doch Wissenschaftler wie Balčytiene und Harro-Loit (Between Reality and Illusion, 2009), die innerhalb des Online-Journalismus zwischen Analyse (Journalisten) und Copy-&-Paste (UGC) unterscheiden, dürften mit ihren Theorien bei den Ruhrbaronen nicht weit kommen. Denn die meisten BloggerInnen sind selbst JournalistInnen, die zwar hier ihre Spielwiese für die erweiterten Möglichkeiten des New Journalism gefunden haben, aber dennoch ihr Handwerk beherrschen. So zum Beispiel Gründungsmitglied David Schraven, der als Welt-Korrespondent für seine Berichterstattung zur PFT-Belastung der Ruhr 2008 den renommierten Wächterpreis erhielt. Schraven war gleichzeitig Ruhrbaron. 

Ein Blog für den Pott

Aber kann sich ein Regionalblog behaupten gegenüber den aufwendigen Angeboten der großen Verlagshäuser? „Wir sind klein und exklusiv“, erklärt Laurin. LeserInnen habe das Blog im ganzen Land, gerade auch in Köln, Berlin und Hamburg. „Natürlich schlägt ein Portrait über die Dortmunder Nordstadt nicht auf Bundesebene durch, aber manchmal gelingt es eben doch.“ Seit der Gründung hätte man sechs bis sieben größere Geschichten gehabt, die auch außerhalb der Region von größeren Zeitungen aufgegriffen worden seien. „Etwa zuletzt den Naziangriff auf die HirschQ in Dortmund. Das stand ein paar Stunden später bei Spiegel.online.“ Doch besonders bei regionalen Ereignissen habe man oft die Nase vorn. Laurin erinnert sich, auf einer Demo sogar einmal direkt aus einem Polizeikessel heraus gebloggt zu haben. „So schnell war sonst keiner. Dieser direkte Informationsfluss war zuvor ein Privileg der Öffentlich Rechtlichen.“ Ansonsten gelte, was David Schraven gegenüber Andreas Grieß im Carta-Blog einmal ausführte: „Man kann sich Blogs als die kleinen Räder vorstellen, die die Großen bewegen.“ Doch auch formal habe das Phänomen der Blogs die Medienlandschaft verändert. Die Ausdrucksweisen des New Journalism, die in den 90ern von Magazinen wie „Tempo“ geprägt wurden, hätten sich durch die Blogs stärker etabliert. In der „Welt Kompakt“ würden die LeserInnen mittlerweile sogar geduzt. 

Zurück in der analogen Welt

Nun wird gemeinhin Blogs eine kurze Lebenszeit attestiert. Dreieinhalb Jahre Ruhrbarone ist da schon eine beachtliche Dauer. Wie wird es weitergehen? „Solange ich Bock habe, mache ich weiter“, so Laurin. „Außerdem kommen ja ständig neue Leute hinzu.“ – Ein Ende ist also nicht abzusehen. Zudem stehen einige Innovationen an. So werde es demnächst eine „virtuelle Ecke“ geben, in der Graphiker ihre Exponate präsentieren könnten. „Auch zieht es uns wieder mehr in die analoge Welt“, berichtet Laurin. Es werde in Zukunft verstärkt Lesungen geben und außerdem gebe es ja noch das „Printding“. Das Magazin der Ruhrbarone erscheint im Klartextverlag und kann auf nunmehr drei erfolgreiche Ausgaben zurückblicken. „Auch da werden wir weitermachen.“

Auf das Medienfestival freut sich Laurin. „Als Blogger kommt man mit den Leuten, mit denen man täglich online in Kontakt steht, selten zusammen. Das Festival ist da ein guter Anlass. Super Sache.“

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In der nunmehr dritten Ausgabe sind exklusive Beiträge der AutorInnen in Printform erhältlich. Diesmal haben sich die Ruhrbarone und Ruhrbaroninnen in die Tiefen der „Männerwelten“ vorgewagt.

8,95 Euro unter klartext-verlag.de

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