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Zur Ruhr.2010 gab es viel Geld zu verteilen. Doch nicht alle KünstlerInnen profitierten von der Kulturhauptstadt, besonders viele Mitglieder der lokalen Szene gingen leer aus. Andere hingegen konnten sich sogar mit mehreren Projekten profilieren, so etwa der Konzeptkünstler Jochen Gerz. Mit gleich zwei Mammut-Vorhaben konnte er an den Start gehen: der Platz des europäischen Versprechens in Bochum und das Wohnraum-Projekt „2-3 Straßen“, in dessen Rahmen nun ein gewaltiges Buch von 3.000 Seiten bei dem renommierten Verlag Dumont erschienen ist.

Gigantomanie und Kommunikationsdefizit

Die Idee klang gut: 78 Mieter ziehen in den sanierten Wohnraum im Zentrum der Städte Dortmund, Duisburg und Mühlheim, das Ganze nennt sich dann „Ausstellung“. Ziel des Projektes war die Veränderung des Wohnraums sowie die Veröffentlichung besagten Buches. Ob sich wirklich etwas verändert hat, lässt sich schwer ausmachen. Die Aktion sollte unglaublich cool wirken. Vielleicht könne man ja eine beinah authentische Prenzlauer-Berg-Atmosphäre schaffen? Bald sitzen überall urbane Hipster, die wie besessen in ihre Laptops tippten, hoffte Gerz offenbar. Adidas-Klamotten und MacBooks – kann die Digitale Boheme etwa Mühlheim erobern? Werden die Touristen aufziehen und die jungen Menschen begaffen? Schließlich war das Ganze eine Ausstellung. Ein Wohnraum-Zoo mit Publikationszwang.  
Nunmehr ist das Buch erschienen. 887 Autoren schrieben 10.000 Beiträge in 16 Sprachen. Die Gesellschaft als Autor. Was für ein gewaltiges Projekt. Die Frage ist nur, wer das lesen will. Zwar lässt Ulysses grüßen, ein Joyce ist leider weit entfernt. Außerdem hat das Projekt bei einigen TeilnehmerInnen massive Proteste ausgelöst. Beklagt wurden vor allem die Kommunikationsdefizite des Jochen Gerz.
Über Kommunikationsdefizite weiß man auch in Bochum zu klagen. Das Gerz-Projekt um den Platz des europäischen Versprechens entwickelte sich im Kulturhauptstadtjahr zur Farce. Auch hier klang die Idee gut: Die BürgerInnen geben Europa ein Versprechen, das geheim bleibt. Die Namen der Beteiligten werden jedoch in große Basaltbodenplatten gemeißelt, welche sich ausgehend von der Heldengedenkhalle in der Christuskirche über den renovierungsbedürftigen Vorplatz ausbreiten. Es folgte eine Kostenexplosion.

Keine Kompromisse

Im Februar 2010 stand eine Finanzlücke von 1,3 Millionen Euro im Raum, die die Stadt aufgrund der Haushaltssperre nicht decken konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits 13.155 Menschen ihr Versprechen abgegeben. Mit dieser Zahl argumentierte nun Gerz und zeigte sich nicht zu Kompromissen bereit. Die abgegebenen Versprechen waren Gerz Pfand. Fortan wurde nicht mehr in Gerz Namen argumentiert, sondern im Namen all der engagierten BürgerInnen, die ihr Versprechen für ein (besseres Europa) gegeben hatten. Ein genialer Coup. Doch die Situation war verfahren.
Mittlerweile wird vor der Christuskirche mächtig gebaut, gleich drei Bagger sind aufgefahren, den Platz zu bearbeiten. Doch wer an ein Happy End denkt, hat die Rechnung ohne den Künstler gemacht. Der überraschte unlängst die Stadt mit einem neuen Antrag: Aufgrund der vielen Namen würde der Platz vor der Christuskirche nicht ausreichen. Der Künstler ließ anfragen, ob nicht auch auf dem Willy-Brandt-Platz zusätzliche Platten installiert werden könnten. Eine Limitierung der Namen hatte der Künstler anscheinend nicht vorgesehen.
Vor solchen Hintergründen fällt das Resümee zur Ruhr.2010 enttäuschend aus. Auf Nachhaltigkeit wurde kaum gesetzt, jedoch gestatteten die Verantwortlichen, dass sogenannte Kulturmanager und Konzept-Künstler schamlos die Mittel abgriffen. Die meisten Kulturabsahner sind längst weitergezogen. Andere halten immer noch die Hand auf.

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