„Tötet Mario Barth“, steht auf dem großen Pappschild, das eine zierliche, weiß geschminkte junge Frau mit blauer Perücke hoch hält. „Ich bin ein weicher Standortfaktor“, erklärt ihr kostümierter Mitstreiter im Anzug und mit Zylinder vor dem Dortmunder Schauspielhaus auf seinem Plakat. Über ihnen prangt ein überdimensionales Transparent: „Die ganze Stadt ist unsere Leinwand“. Daneben versuchen zwei Clowns in einem Polizeiwagen aus Zeltstoff vergeblich, den Verkehr zu lotsen. Elektronische Musik dröhnt aus den Boxen. Die echte Polizeihundertschaft aus Essen, die das Spektakel begleitet, hält sich zurück. So zieht die Party über drei Stunden lang vom Nordmarkt durch die Dortmunder Nordstadt in den Westpark, und ist dabei doch mehr als nur ein etwas seltsames Straßenfest: Eine selbstbewusste Demonstration unterschiedlicher sozialer Gruppen und von vielen Einzelpersonen, unter dem Motto „Her mit dem schönen Leben!“
Man habe bewusst einen Slogan gewählt, der zwar den Anspruch, nicht aber konkrete Inhalte vorgibt, erklärt ein Vertreter des Organisationsbündnisses auf der Auftaktveranstaltung. Kein festgezurrtes politisches Programm, aber dennoch eine Botschaft. Der Euromayday sammelt all diejenigen, die sich von den Bier- und Bratwurstkundgebungen des DGB nicht mehr vertreten fühlen: Studierende, PraktikantInnen, angeblich selbstständig Beschäftigte aus dem Kultur-, Medien- und Sozialbereich, für die das vielzitierte „Normalarbeitsverhältnis“ längst alles andere als normal ist. Das falsche Glücksversprechen des Strukturwandels ist ein zentrales Thema, das unter dem Schlagwort „Kreativwirtschaft“ für Viele kaum mehr einbringt als ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse.
Aber es gibt noch eine zweite Dimension des Umzugs. „Bargeld statt Gutscheine“ steht auf einer großen Papp-Sprechblase, „bessere Medizinische Versorgung“ fordert eine andere. Dahinter tragen Anti-Abschiebungs-AktivistInnen einen meterlangen Maschendrahtzaun, „für eine Welt ohne Grenzen“. Die existenziellen Nöte von Flüchtlingen, die auf Grund der sogenannten „Residenzpflicht“ noch nicht einmal FreundInnen in der Nachbarstadt besuchen dürfen, und denen die Abschiebung in Folter und Mord droht, gehen in dem bunten und lustigen Euromayday-Trubel keineswegs unter. Interview- und Redebeiträge thematisieren auch die Forderungen der Sexarbeiterinnen in der Dortmunder Nordstadt, die wegen der Schließung des einigermaßen institutionalisierten Straßenstrichs befürchten, in Zukunft unter noch weitaus gefährlicheren Bedingungen arbeiten zu müssen. Vor der Dortmunder Alternativkneipe Hirsch-Q, die mehrmals von Neonazis angegriffen wurde, machen AktivistInnen auf das mangelhafte Engagement der Stadt gegen die extrem rechte Szene aufmerksam.
Laptop und Wischmob zusammenzubringen, also ganz unterschiedliche Formen der Prekarisierung in einer gemeinsamen sozialen Bewegung zu thematisieren, das war die Grundidee des Euromayday, als er vor zehn Jahren in Mailand ins Leben gerufen wurde. Auch wenn die jungen Kreativen bei der Parade in Dortmund eindeutig in der Überzahl waren: Die thematische Vielfalt wirkte keineswegs wie ein zu Techno-Klängen inszenierter Spagat. Vielmehr konnte die Parade zeigen, dass nicht nur gesellschaftliche Ausgrenzung ganz unterschiedliche Facetten hat, sondern der Widerstand dagegen auch.
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