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Alles begann mit der Eröffnungsfeier zum diesjährigen Zeltfestival. Der Kabarettist Jochen Malmsheimer, der eingeladen worden war, ein paar Artigkeiten von sich zu geben, ließ sich die Gelegenheit nicht nehmen, einmal das ganz große Fass aufzumachen. „Hohes Zelt! Herr Präsident, Frau Obermeisterin, Eminenzen und Exzellenzen, Monstranzen und Substanzen, geschätzte Damen, edle Herren, theure Thiere, Älteste, Quiriten, Bochumer!“ – So begann die Rede, in deren Verlauf Malmsheimer den Verantwortlichen die kommunalpolitischen Katastrophen der letzten Jahre mit dras­tischen Worten vor Augen führte. Egal ob Cross-Border-Leasing-Deal, der Platz des Europäischen Versprechens oder das Verschwinden des Gymnasiums am Ostring – Malmsheimer wütete: „Dies ist die Stadt, die trotz der Mahnungen und Warnungen vieler, nicht nur der Fachleute, sondern auch vieler ihrer Einwohner, ihre Kanalisation mitsamt der Scheiße an die Amerikaner verkaufte und den ganzen Rotz jetzt verlustreich zurücknehmen musste, weil selbst der Amerikaner mit Scheiße aus Bochum nicht anfangen kann.“

Establishment empört

Harter Tobak, besonders für die anwesenden Würdenträger. Doch Malmsheimer grätschte noch tiefer rein: „Vielleicht hätte man die Verwaltung verkaufen und die Scheiße behalten sollen…“ – Als sich die Oberbürgermeisterin nach der Rede beim Veranstalter beschwerte, war der Skandal perfekt. Die „Ruhr Nachrichten“ berauschten sich über eine Woche an diesem Thema, ja starteten sogar eine Online-Umfrage, nach der über 80 Prozent der Befragten Malmsheimer in seinen Ausführungen Recht gaben. Und das, obwohl der Kabarettist wichtige Themen vergessen hatte. So zum Beispiel die Verurteilung des Antifaschisten Martin Budich wegen der Darstellung einer Torte auf einem Demoflyer, in der die Staatsanwaltschaft jedoch eine Bombe erkennen wollte. Schön wäre es auch gewesen, einmal das Zeltfestival, respektive das Sponsorship von Stadtwerke und Co., kritisch zu hinterfragen.
Aber Spaß gemacht hat es trotzdem, diese Lust am Vergaloppieren, diese verschrobene Sprachgewalt. Malmsheimer verstieg sich sogar zu der Behauptung, dass sich der literarische Ausstoß der Stadt des Buches in der „Jobsiade“ (1784) des Karl Arnold Kortum sowie in dem Frühjahrskataloge von Reifen Tanski erschöpfe. Für den ehrenwerten Mentor der Bochumer Literatur Hugo Ernst Käufer hatte Malmsheimer damit zu viel von seinen Lesepräferenzen preisgegeben. Käufer tadelte den Kabarettisten in der WAZ heftig: Malmsheimer solle mit seinem Klamauk doch nicht so großartige Bochumer Autoren wie Wolfgang Welt verunglimpfen und so weiter und so fort. Großartig.

Der Zaun muss weg!

Kaum hatte sich der Trubel wieder etwas gelegt, da bemerkte der Bochumer Aktionskünstler Matthias Schamp, dass ihn der Bauzaun am Riff-Gelände bei seinen botanischen Exkursionen störe und schrieb einen öffentlichen Brief an den Bochumer Baurat Dr. Kratzsch, der doch eben erst seinen wohlverdienten Urlaub genommen hatte. Nein, der Zaun müsse weg, so Schamp. Die Kosten von 50.000 € sprächen Hohn in jedes Künstlerherz der freien Szene, der man aufgrund der Haushaltssperre doch so großzügig die Mittel gestrichen hatte. Sicherheitsbedenken hin oder her, der Schamp insistierte auf freien Zugang zum Brachgelände: „Das Gelände ist durch den niedrigen Bewuchs auf seiner Längsachse gut zu begehen. Es wachsen dort sehr schön u. a. Sommerflieder, schmalblättriges Weidenröschen, Jakobs-Greiskraut, kanadische Goldrute, Ackergauchheil, Nachtkerze, Königskerze, Johanniskraut. Neben typischen Pionierpflanzen für Ruderalflächen gibt es z. B. auch die blauflügelige Ödlandschrecke zu entdecken. Dies alles stellt in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt einen immensen Freizeitwert dar, der grundlos zunichte gemacht wurde.“ Das Ganze entfachte eine große Diskussion auf dem Blog der Ruhrbarone. Letzten Sonntag erfolgte eine „Kunstaktion im Sinne Hegels: Das unbotmäßige Übersteigen eines unsinnigen Zaunes“ – es regt sich was auf Bochums Straßen.
Wie wird es weitergehen mit den Bürgerprotesten? Winterpause oder weitermachen? Kabarett oder Happening? Die bsz hält Euch auf dem Laufenden.

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