Heisig beginnt mit zahlreichen Fallbeispiele und Karrieren von Jugendlichen, aus denen später sogenannte „Intensivtäter“ geworden sind: Da ist die Geschichte von rechten Jugendlichen zu Beginn der 90er Jahre, und da sind die Schilderungen von John, dem Punk mit dem schweren Schicksal – und auch die Jugendlichen aus „besserem Hause“, die aus Langeweile Autospiegel abtreten oder für vierstellige Summen Kokain für eine Party in der elterlichen Villa kaufen. Als Jugendrichterin wird man mit bewegenden und krassen Geschichten konfrontiert. Krass ist auch der Fall von „Yilmaz, Hussein und Kaan“, den drei jugendlichen Vergewaltigern, die ebenso wie die „libanesischen Großfamilien“ ständige Begleiter durch die rund 200 Seiten des Buches sind – im Gegensatz zu den herkunftsdeutschen Delinquenten, die auf ein paar Seiten abgehandelt werden. Auch wenn die Fälle wohl authentisch sind, leistet diese Form der Darstellung einer Stigmatisierung von MigrantInnen als tatsächlichen oder zumindest potentiellen Kriminellen Vorschub. Dazu kommt die Perspektive, aus der Heisig schrieb: Als Richterin hat man naturgemäß mehr mit straffällig gewordenen Jugendlichen zu tun als mit anderen. Aus dem Dargestellten unmittelbar auf den Zustand von MigrantInnenengruppen zu schließen oder gar auf dieser Grundlage soziologische Deutungen anzustellen, ist hochgradig fragwürdig. Diese Vorgehensweise entspricht dem, was der Soziologie Nobert Elias als einen der grundlegenden Mechanismen zur Abgrenzung der Eigen- von einer Fremdgruppe ausgemacht hat: Die Konstruktion des Bildes der Anderen anhand ihrer delinquentesten, schlechtesten Mitglieder, die dann immer wieder als Beweis für die eigene Überlegenheit und die Schlechtigkeit der Anderes als Ganzes herangezogen werden können. Heisig selbst macht das nicht explizit. Teile ihrer LeserInnenschaft werden es tun, vor allem diejenigen, die schon immer wussten, dass man nur mal hart durchgreifen muss – ganz konsequent, wie es im Untertitel heißt.
Dass Heisig sich nicht deutlich gegen eine solche Lesart ausspricht, ist schade. Denn das, was sie als „Neuköllner Modell“ vorstellt, mit dem Jugendliche vor einer drohenden Karriere als „Intensivtäter“ bewahrt werden sollen, ist weit weniger reißerisch als der Titel des Buchs vermuten lässt. Einer Forderung nach schärferen Gesetzen oder einer Abschaffung des Jugendstrafrechts erteilt sie eine Absage. Stattdessen geht es um die Beschleunigung von Gerichtsverfahren, die oft erst mehrere Monate nach der Tat stattfinden. Das führe dazu, dass Jugendliche den Zusammenhang zwischen Tat und Strafe herstellten, so die Autorin. Und es geht um Kommunikation: zwischen Jugendamt, Schule, Polizei und anderen Behörden, um zu verhindern, dass ProblemschülerInnen nicht von Schule zu Schule weitergereicht werden und es irgendwann niemandem mehr auffällt, wenn sie ganz aus dem Bildungssystem herausfallen. „Mrs. Tough“ wirkt hier fast wie eine Sozialarbeiterin, wenn auch eine konservativ-repressive: Mit Kopfnoten für SchülerInnen und Bußgeldern auch für einkommensschwache Familien sollen die Kids wieder in die Klassenräume geholt werden.
Selbst wenn man bei diesen Forderungen inhaltlich mitginge – ein paar Fragen bleiben unbeantwortet: Was soll mit den vor der Kriminalität bewahrten Jugendlichen passieren, die irgendwann einen Schulabschluss statt einer Strafakte vorweisen können, die aber immer noch den ganzen Tag auf der Straße sind, weil es keine Jobs für sie gibt? Und wo sollen die JuristInnen, SozialarbeiterInnen und LehrerInnen herkommen, die sich um die schnellen Gerichtsverfahren und die SchulschwänzerInnen kümmern? Der Appell der Berliner Jugendrichterin richtet sich an einen Staat, den es so nicht mehr gibt, weil er längst weggespart und kaputtverschlankt ist – und dem, wenn sich daran nichts ändert, nur noch das Wegsperren der Überflüssigen und Abgehängten bleiben wird.
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