Gegen sechs Uhr in der Früh werde ich wach, weil vor meinem Fenster (da gibt es einen kleinen, balkonähnlichen Vorsprung) jemand steht und ruft. Ich schlafe im neunten Stockwerk. Der Typ kreischt einen Namen (denke ich) und dann immer wieder „douzo, douzo!“, das heißt „Bitte“. Dazwischen scharrt er mit den Füßen und macht Geräusche. Jetzt bin ich hellwach. Ich kann seine Umrisse erkennen, er ist groß und kräftig. Will der springen? Voller Adrenalin überlege ich, was zu tun ist. Wenn er springt und ich hab es geahnt… Aber was tun? Wenn ich das Fenster aufmache, wird er sich erschrecken. Außerdem traue ich mich das nicht, denn er klingt verzweifelt und aggressiv. Davon abgesehen: Wie soll ich auf Japanisch jemanden davon abhalten, sich umzubringen? Das und noch viel mehr denke ich, alles gleichzeitig. Mehrmals glaube ich zu hören, wie er auf die Brüstung steigt und male mir schon aus, wie das letzte „dooooooouzo“ immer leiser wird. Igitt! Ich entscheide mich dazu, erstmal in den zehnten Stock zu gehen und mir die Lage von oben anzusehen.

Ergebnis: Der Typ ist völlig besoffen. Als ich mich auf den Weg zur Rezeption mache, um dort irgendwas von „Notfall“ zu stottern, kommt er mir im neunten Stock entgegengewankt und geht in sein Zimmer, gegenüber von meinem. Ab da ist Ruhe. So ein Arsch! Außerdem hat er Bierdosen auf dem Vorsprung verteilt, die im Wind Krach machen und zusammen mit dem Adrenalin dafür sorgen, dass ich nicht mehr einschlafen kann. Nun denn: Auf nach Yamanashi, Wein anbauen!

Mehr aus Japan unter:
http://hannojentzsch.de/bloginjapan

 

0 comments

You must be logged in to post a comment.