Die Tagung wurde vom Essener Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) veranstaltet. Volkhard Krech, Professor für Religionswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und Leiter des Internationalen Kollegs für Geisteswissenschaftliche Forschung zum Thema „Dynamiken der Religionsgeschichte zwischen Asien und Europa“, betonte, wie wichtig es sei, Theorien auch immer mithilfe empirischer Studien zu belegen.
Die Tagungsrunde bestand unter anderem aus Vertreterinnen und Vertretern der Philosophie, Religions-, Islam- und Literaturwissenschaft, einem Vertreter des Verfassungsschutzes NRW und freien Publizisten. Kritisch bemerkte Professor Krech, dass man heute wohl auch weniger Drittmittel mobilisieren könnte, wollte man das Friedenspotential von Religion anstelle des Gewaltpotentials untersuchen.
Gewalt, so Krech, entziehe sich oftmals einem vernunftgeleiteten Verstehen. Krech verweist darauf, dass man sich der Frage nach dem Verhältnis von Gewalt und Religion vor allem durch Fallanalysen nähern könne. Dabei müssen die Ergebnisse der theoretischen Analyse mit empirischen Studien abgeglichen werden. Professor Krech sagte, religiöse Identitäten könnten auch dann prägend sein, wenn die Akteurinnen und Akteure nicht selbst religiös sind.
Religion, so Krech, enthalte häufig die Disposition zu Gewalt, und gleichwohl kann Gewalt selbst religiös aufgeladen sein. Entscheidend dafür sei der in der Religion enthaltene Absolutheitsanspruch. Religiöse AkteurInnen setzten sich oftmals einer „asketischen Selbstverkürzung oder spirituellen Selbstverkleinerung“ aus, um „aus Demut theokratische Anmaßungen abzuleiten“. Religion kann also Gewalt fördern, muss es aber nicht.
Beispielhaft nannte Krech sowohl Ayatollah Khomeini für Iran als auch Bernhard von Clairvaux, den er als „Chefaktivist der Kreuzzüge“ bezeichnete. Die Selbstinszenierung religiöser AkteurInnen sei sehr viel aufschlussreicher als der Gewaltakt selbst oder außenperspektivische Deutungen. Im Unterschied zu politischen TerroristInnen müssten religiös Motivierte weniger Rücksicht auf die öffentliche Meinung nehmen, da sie ihre Ziele auf sich selbst und ihre GenossInnen beschränken könnten. Doch letztlich bliebe Religion nur ein Faktor unter vielen.
Im Rahmen dieser Thematik wird immer wieder auch über die Ursachen und Gründe für die Anschläge vom 11. September 2001 auf die USA spekuliert. Zwei der in den Medien vorherrschenden Deutungsmuster, für die stellvertretend George W. Bush und Tony Blair stehen können, sind besonders weit verbreitet. Ihnen zufolge sei das Ziel von al-Qa‘ida gewesen, die „westlichen Werte“ und die Demokratie zu zerstören.
Mit anderen Erklärungsstrategien wird der Westen selbst für die Anschläge verantwortlich gemacht, indem man etwa eine „angeblich verfehlte Nahostpolitik“ unterstellt. Diese habe dazu beigetragen, dass die US-amerikanische Außenpolitik dieser Zeit als „fatal“ bewertet wurde.
Oliver Glatz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Religionswissenschaft, stellt diesen Deutungsansätzen nun einen dritten entgegen. „Die Anschläge vom 11. September waren nicht primär gegen ‚den Westen‘ gerichtet und auch nicht gegen die USA, sondern gegen die arabischen Regime“, so Glatz. Die USA wurden als „wichtiger militärstrategischer Verbündeter dieser Regime wahrgenommen. Außerdem wurden sie im Tausch gegen militärischen Beistand von Saudi-Arabien mit Öl beliefert.“
Die von al-Qa’ida verübten Anschläge trugen also lediglich der Vorstellung Rechnung, die eigenen saudi-arabischen und ägyptischen Regime befänden sich in einer Abhängigkeitsbeziehung und man müsse ihnen somit die Unterstützung der USA entziehen, um sie im Anschluss stürzen zu können. Denn laut al-Qa’ida hätten diese Regime den ‚islamischen‘ Werten zuwider gehandelt und müssten demnach von „aufrechten Muslimen bekämpft werden“. Dass die erhoffte Solidarisierung für al-Qa‘ida und die von ihr initiierten Anschläge ausblieb, führt Oliver Glatz auch auf die Brutalität zurück, mit der sie verübt wurden.
0 comments