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Bild: Innenministerium NRW
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„Abenteuer“ erleben der Titelheld Andi und seine FreundInnen in den jeweils etwa 40seitigen Heften – das erklärt NRW-Inneninister Ingo Wolf (FDP) schon im Vorwort. Andere große Abenteuer-Erzählungen schicken ihre HeldInnen auf große Reisen. Die Gefahren für die Verfassungsschutz-ProtagonistInnen liegen dagegen im eigenen Land. Die Jungs und Mädels befinden sich nämlich fortwährend in der Gefahr, zu politischen ExtremistInnen zu werden. Im ersten Heft hatten der neue Mitschüler Eisenheinrich und der arbeitslose Kameradschaftsführer Müller noch Erfolg damit, Andis KlassenkameradInnen Magda und Norbert zu Neonazis zu machen. Im zweiten Band landete Andis Freund Murat bei einem islamistischen Hassprediger – natürlich wiederum angestiftet von einem neuen Mitschüler, nämlich Harun, der sich später als Mujahedin zu erkennen gab. Jetzt ist der unvermeidliche dritte Band der Serie erschienen, der die immer gleiche Geschichte neu inszeniert: Dieses Mal müssen Andi und Murat mit ansehen, wie ihr Freund Ben zum linken Autonomen wird.

Extremismus-Schablonen

Die Storyline folgt dabei der gleichen Schablone wie in den beiden vorhergehenden Bänden: Während die Neonazis mit ihrer Schulhof-CD „Für Deutschland“ Erfolg hatten und Murat im zweiten Band mit der CD „Einladung zum Jihad“ herumfuchtelte, begeistert sich Ben jetzt für Konzerte der Bands „Anti Alles“ und „System Error“. Die treten natürlich in einer besetzten alten Fabrik auf, die sich als ein von der Räumung bedrohtes Autonomes Zentrum herausstellt. So weit, so stereotyp. Was fehlt noch, um das Tableau vollständig erscheinen zu lassen? Klar, der falsche Freund. Und deswegen trifft Ben bei dem Konzert seinen alten Grundschulfreund Klausi wieder, der sich inzwischen allerdings „Randale“ nennt und Politaktivist ist. Randale verführt Ben („Ich bin eigentlich nur wegen der Mucke hier“) zum Sprayen von anarchistischen Sprüchen und schleppt ihn zu einem Vorbereitungsplenum für eine Anti-Nazi-Demo („Ist ja wie in der Schule hier mit dem endlosen Gelaber“).

Aggressiver Deutungskampf

Wie aggressiv der Comic darum bemüht ist, Worte umzudeuten, wird hier ebenfalls deutlich. So erklärt die antifaschistische Aktivistin auf dem Plenum: „Wir müssen der Gesellschaft mit gezielten Aktionen ein Zeichen setzen. Trotzdem gilt für die Gegendemo: Keine Gewalt!“ Wie das angeblich zu verstehen ist? „Das heißt, wir sollen uns nicht erwischen lassen, Ben“, erklärt Randale dem Neu-Autonomen. So banal und schablonenhaft die narrative Struktur der Andi-Comics ist: Sie setzt idealtypisch politische Theorie um, die etwa die Politikwissenschaftler Uwe Backes und Eckhard Jesse unter dem Namen „Vergleichende Extremismusforschung“ zu etablieren versuchen. Ihrem Konzept liegt die Vorstellung zugrunde, dass das politische System als eine hufeisenförmig angeordnete rechts-links-Matrix versteht: In der Mitte steht die wehrhafte Demokratie der Bundesrepublik, während sich die beiden „Extreme“ sich nicht nur gegenseitig annähern, sondern auch strukturell gleichförmig sind. Vor allem aus den Reihen der Rechtsextremismusforschung sind erhebliche wissenschaftstheoretische Zweifel an diesem Modell formuliert worden: Die Theorie entwickle auf der Basis von unklaren Definitionen einen normativen Extremismusbegriff, der in erster Linie politische Vorgaben wissenschaftlich umsetze, die in den 1970er Jahren von staatlichen AkteurInnen formuliert worden seien, lautet eine zentrale Kritik. Die Extremismustheorie sei damit eine fragwürdige Bezeichnungspraxis, die unterschiedliche soziale Phänomene unter einen Begriff subsumiere, ohne empirisch nachzuweisen, was das gleichartige extremistische Substrat darstelle. Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer vom Otto-Suhr-Istitut der Freien Universität Berlin betont etwa, dass der Extremismusbegriff sich vor allem dafür eigne, GegnerInnen der gegenwärtige staatlichen Ordnung zu identifizieren und zu sanktionieren. Damit handle es sich um ein politisches Modell. Als wissenschaftliche Theorie seien die Postulate der Extremismusforschung jedoch als unterkomplex und eindimensional abzulehnen und hätten sich in den Sozialwissenschaften nicht durchsetzen können.

 

Wie plakativ der Verfassungsschutz-Comic die umstrittene Extremismustheorie trotz dieser wissenschaftlichen Zweifel umsetzt, wird bei der grafischen Inszenierung der Neonazi-Demonstration exemplarisch deutlich: In der Mitte des Bildes steht die staatliche Gewalt in Form der Polizei; an den beiden Rändern des ganzseitigen Bildes sieht man zwei identisch aussehende Demonstrationsgruppen. In weiteren Panels streiten sich die Autonomen Ben und Nele ( „Wir sind die Zukunft“) mit den identisch aussehenden Nazis Eisenheinrich und Magda („Du spinnst wohl, wir sind voll gegen das System“) darum, wer nun authentischer den Kampf gegen die Demokratie verkörpere. Auch unabhängig von allen wissenschaftlichen Zweifeln ist die plakative Gleichsetzung („Die reden voll den gleichen Quark“) auch in ihrer politischen Wirkung fragwürdig. Denn um das durchhalten zu können, muss die Neonazi-Szene zwangsläufig verharmlost und in der Darstellung um ihre militant-mörderische Dimension beschnitten werden. So zählte das Internetportal Mut gegen rechte Gewalt von 1990 bis zum Jahr 2008 insgesamt 140 Todesopfer rechter Gewalt, und selbst die Bundesregierung erkennt 46 Fälle davon als eindeutig rechtsextrem motiviert an. Linksextrem motivierte Morde sind aus dem gleichen Zeitraum dagegen überhaupt nicht bekannt.

Damit enhüllt sich jenseits von allen wissenschaftstheoretischen Zweifeln an dem Erkenntnismodell der Extremismustheorie die politische Gefahr der Darstellung: Wer ein symmetrisches Gefahrensystem von rechts und links konstruiert, um damit die staatlichen AkteurInnen in der Mitte eines politischen Koordinatensystems verorten zu können, wird nicht nur den einzelnen Phänomenen nicht gerecht, sondern verschleiert damit tatsächliche Bedrohungsszenarien. Welch ein Glück, dass das Storytelling der Andi-Comics so banal, holzschnittartig und peinlich ausfällt, dass zu hoffen ist, dass sie diese Wirkung in der Zielgruppe verfehlen.

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