Bildungsministerin Annette Schavan forderte die Bundesländer wegen der Hochschulproteste dazu auf, die bislang verabredeten Hochschulreformen zügig umzusetzen. Die protestierenden Student_innen wollen mit ihren Besetzungen auf zahlreiche Missstände im Bildungssystem aufmerksam machen: die schlechten Lehr- und Lernbedingungen, überlastete Seminare und Studiengänge, die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen, soziale Ungerechtigkeiten im Bildungssystem und die Belastungen und Mängel durch die Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge. Die Studierenden fordern deswegen ein Mitbestimmungsrecht an den Entscheidungsprozessen der Hochschulen und eine verbesserte Umsetzung des Bologna- Prozesses, dessen Ziel es ist, das europäische Hochschulwesen zu vereinheitlichen. Nicht nur Studierende klagen, in Österreich unterstützen inzwischen hunderte Lehrende die Proteste mit Unterschriften. Ein deutscher Hochschulmitarbeiter kommentiert die Zustände der Hochschulen im Internet so: „Vor allem die fehlenden Richtlinien zur Umsetzung der Reform stürzen die Institute in ein Bürokratiechaos, das echte Realsatire bietet.“ Die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel, beteuert dagegen, die Hochschulen würden bereits nach Kräften versuchen, die Probleme zu beheben. Ihre Kräfte endeten da, wo die Verantwortung der Politik beginne.
Heißer Herbst
Tom Amir, protestierender Student an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, kommentiert die Bologna- Reform im ARD-Interview so: „Die ganze Reform produziert im Grunde Fachidioten, die vielleicht den Ansprüchen der Wirtschaft zum aktuellen Zeitpunkt genügen, die letztendlich aber kaum fähig sein werden, neue Ideen und neue kreative Ansätze zu finden – damit entsteht ein großer gesellschaftlicher Schaden.“ Nach den eher lauen Protesten des Bildungsstreiks im Juni 2009 haben Studierendenorganisationen für den 17. November einen Protesttag von Schüler_innen, Auszubildenden und Student_innen an hundert Hochschulen angekündigt. Für die Zeit vom 30. November bis 6. Dezember ist eine weitere Aktionswoche unter dem Motto „Education is not for sale“ angesetzt. Man möchte dafür sorgen, dass die Bildungspolitik endlich wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rückt.
Im Audimax angerufen – war jedoch besetzt
Studierende schreien laut auf und ziehen sich damit zum Teil sogar den Unmut einiger Kommiliton_innen auf sich, die sich selbst nicht betroffen fühlen. In Essen versuchte eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftler_innen, ihre protestierenden Mitstudierenden aus dem besetzten Hörsaal zu vertreiben, damit ihre Vorlesungen wieder ordnungsgemäß stattfinden können – ohne Erfolg. Ihre Aussagen („Wer protestiert hat zuviel Zeit im Studium“) werden im Gegenteil von vielen Aktivist_innen als ein mehr als deutliches Zeichen dafür gewertet, was mit Studierenden passiert, die mit Scheuklappen durch den Bachelor getrieben werden. Die Besetzungen sollen den Druck auf die Politik erhöhen und gleichzeitig die Möglichkeit für Gespräche mit Politiker_innen und Hochschulleitungen schaffen. Deswegen hofft man, dass sich alle Beteiligten für einen Diskussionsprozess bereit zeigen, um endlich etwas an der gegenwärtigen Bildungssituation zu verändern. In Bochum sind die notwendigen Strukturen aufgrund des Streiks im Juni bereits vorhanden. Für Bochumer Studierende wird sich deswegen spätestens im Rahmen der Vollversammlung der Studierendenschaft am Donnerstag zeigen, ob Beton doch brennt.
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