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Punk-Solidarität: Antiflag im besetzten Wiener Audimax - Foto: Nico Ostermann (by-nc-sa)Entzündet hat sich der Aufstand an der Wiener Akademie der bildenden Künste, wo die Studierenden den „Generalstreik“ ausriefen, um gegen die Auswirkungen des neu eingeführten Bachelor/Master-Systems zu protestieren. Es folgte die Besetzung der Uni Wien, wo sich die Zielrichtung schnell erweiterte: In einem basisdemokratischen Prozess entwickelten die Studierenden innerhalb der ersten Besetzungswoche ein Positionspapier, das sich längst nicht nur gegen neoliberale Reformen und die chronische Unterfinanzierung des Bildungssystems wendet: Der Protest sei ein Teil der „weltweiten Entwicklung sozialer Bewegungen“ und fordere einen „Stop der Ausbeutung in allen Lebensbereichen“, erklären Studierende und Lehrende in einem gemeinsamen Papier. Die Protestierenden wenden sich auch gegen prekarisierte Arbeitsverhältnisse und Unterbezahlung des Reinigungspersonals und gegen die Ausbeutung von PraktikantInnen. Es gehe jedoch nicht um „5 Cent mehr pro Stunde, nicht 3 Euro mehr Kindergeld und auch nicht einfach nur mehr Geld für die Universitäten“, sondern um „grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen“. Konkret fordern die Protestierenden unter anderem  weitergehende Antidiskriminierungs-Regelungen an ihrer Hochschule, freien Hochschulzugang ohne ökonomische Beschränkungen, eine emanzipatorische Umgestaltung des Bildungssystems und eine Restitution aller im Rahmen der Shoa geraubten Güter, die sich seit der NS-Zeit im Besitz der österreichischen Hochschulen befinden.

Erste Zugeständnisse der Regierung

Unter dem Druck der Proteste sicherte Bildungsminister Johannes Hahn zu, den Hochschulen des Landes im kommenden Jahr 34 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Angesichts der viel weitergehenden Forderungen kann die Regierung bei den Studierenden mit diesem Zugeständnis bisher allerdings keinen Blumentopf gewinnen. Auch der Vorsitzende der österreichischen Rektorenkonferenz Christoph Badelt machte deutlich, dass die einmalige Finanzspritze keineswegs ausreichen werde, um die österreichischen Universitäten zu befrieden. Er erklärte in der Tageszeitung Der Standard, dass die Summe von einer Milliarde Euro pro Jahr zusätzlich nötig wäre. Erst damit käme das Budget der österreichischen Unis auf die europaweit üblichen zwei Prozent der Wirtschaftsleistung. Auch der Rektor der Uni Wien, Georg Winckler zeigte in einer Stellungnahme Verständnis für den Protest.

Die Wiener Protestierenden weisen derlei Umarmungen durch die Mitverantwortlichen für die Misere allerdings zurück und geben sich weiter kämpferisch. Man werde nicht zulassen, dass der Protest auf die rein monetäre Ebene reduziert werde. Es sei nicht ausgeschlossen, dass man das Audimax das ganze Semester besetzt halte, vielleicht auch länger.

Die Beteiligung an den Protesten übertrifft derzeit alle Erwartungen. An der Demonstration unter dem Motto »Mehr Geld für Bildung statt für Banken und Konzerne« nahmen vergangenen Mittwoch in Wien laut Polizei 10.000, laut den AnmelderInnen zwischen 20.000 und 50.000 Menschen teil. Diese Woche könnten es noch mehr werden: In Wien, Graz, Linz und Klagenfurt rufen die Studierenden für Donnerstag zu einem österreichweiten Aktionstag auf. Am Vormittag sind dezentrale Aktionen in den einzelnen Uni-Städten geplant, am Nachmittag gibt es eine Großdemonstration in Wien. Dabei könnte es zu einer Ausweitung der Protestbewegung auf die Schulen des Landes kommen: Ab neun Uhr morgens sind landesweite SchülerInnenstreiks geplant.

Riesige Aufmerksamkeit

Welch große gesellschaftliche Aufmerksamkeit der Aufstand an den österreichischen Hochschulen erfährt, ist nicht nur in den traditionellen Medien, sondern vor allem auch im Internet zu erfahren. Auf der Internet-Plattform Twitter gehören die Suchbegriff-Tags „unibrennt“ und „unsereuni“ – die Schlachtrufe der Bewegung – seit Beginn der Proteste zu den meistbenutzten im deutschsprachigen Raum. Die Protestierenden geben sich dabei keineswegs öffentlichkeitsscheu und senden Video-Livestreams aus den besetzten Hörsälen in Wien, Graz, Innsbruck, Linz und Salzburg. Und das mit Riesenerfolg: Die Vollversammlungen, Diskussionsveranstaltungen und abendlichen Konzerte werden zum Teil von vielen tausend Internet-ZuschauerInnen gleichzeitig verfolgt. Auch eine anonyme Bombendrohung und die anschließende Durchsuchung des Audimax mit Polizeispürhunden (im Internet live zu verfolgen) konnte die Wiener Protestierenden nicht aus der Fasson bringen. Am vergangenen Sonntag trat die berühmte US-Punkband Antiflag in dem besetzten Hörsaal vor tausenden ZuschauerInnen auf und traf den Nerv der Bewegung: Nach einer flammenden Solidaritätsrede spielten die Pittsburgher SonyBMG-Punker den Clash-Hit „Should I stay or should I go?“, um unter tosendem Applaus die rhetorische Frage gleich selbst zu beantworten: „Definitely stay!“

Aktuelle Infos zu den Protesten:
http://www.unsereuni.at

 

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