In Deutschland werden junge Menschen im Laufe ihres Lebens auf eine Odyssee von Mehrfachselektionen geschickt, nach der Grundschule, vor der Oberstufe, bei der Abiturprüfung und nicht zuletzt vor der Aufnahme eines Studiums. Die soziale Situation der Eltern entscheidet maßgeblich über den Bildungserfolg der Kinder. Am Ende der sozialen Nahrungskette setzen dann höchst selektive Stipendien der Ungerechtigkeit die Krone auf, da sie maßgeblich zur Reproduktion elitärer bildungsbürgerlicher Strukturen beitragen. Herr Pinkwart möchte die Stipendienvergabe in NRW nun zu einer politisch initiierten Kultur werden lassen, anstatt endlich die BAföG-Bezüge zu erhöhen oder eine Senkung der Studiengebühren anzuregen.
Annette Schavan (CDU) und Andreas Pinkwart (FDP) kündigten vollmundig an, dass künftig zehn Prozent der Studierenden an den deutschen Universitäten und Fachhochschulen ein Stipendium erhalten sollen. Nur zwei Prozent aller Studierenden in Deutschland erhalten zurzeit ein Stipendium. Davon gehen jeweils 0,5 Prozent der Stipendien an Studierende der Sprach- und Kulturwissenschaften oder Studierende der Kunstwissenschaften, wohingegen 21 Prozent an die Ingenieurswissenschaften vergeben werden. Pinkwart versucht derzeit, förderwillige Unternehmen für Stipendienvergaben zu gewinnen, indem er eigens auf einem Flyer des Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Technik (MIWT) mit möglichem Einfluss auf potenziell zur Verfügung stehenden akademischen Nachwuchs und natürlich das entstehende soziale Image für Unternehmen wirbt.
Survival of the Fittest
Bochumer StudentInnen haben in diesem Jahr 120 der 1400 vergebenen Stipendien erhalten, die auf 33 von 36 Hochschulen in NRW verteilt wurden. Neben Stiftungen und Vereinen machen Wirtschaftsunternehmen 38 Prozent der Finanzspender aus. Unternehmen wählen bei der Vergabe etwa nach Geburtsort, Studienfach, dem Beruf der Eltern oder unternehmenskonformen Interessen und Ziele aus. Die Zweckausrichtung zugunsten wirtschaftsförderlichen Funktionierens anstatt an der Bedürftigkeit ist nicht zu übersehen.
Survival of the Richest
Schul- und Studienleistungen sind in Deutschland zu einem Großteil durch die soziale Herkunft determiniert. Selbst bei gleicher Leistung ist – laut Bericht der 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes – die Chance für Akademikerkinder, ein Stipendium zu bekommen gegenüber Kindern aus bildungsferneren Familien doppelt so hoch. Neben einer BAföG-Erhöhung ist auch bei der Stipendienvergabe ein Nachteilsausgleich gefordert. Mit der sozialen Stellung der Eltern sollte nicht das letzte Wort über den eigenen Bildungserfolg gefallen sein.
Das Ziel der Stipendien ist es, konzentrierte und erfolgreiche StudentInnen zu produzieren, aber erst entsprechend engagierte Studierende, die Bestleistungen im Studium erbringen, können sich bewerben. Wie sollen sozial und finanziell benachteiligte Studierende im Vergleich zu ihren durch ein akademisches Elternhaus vorgeprägte MitstudentInnen glaubhaft belegen, „dass ihr bisheriger Werdegang besondere Leistungen im Studium erwarten lässt“?
Besteht die besondere Leistung nicht bereits darin, die Courage und den Willen aufzubringen, trotz schlechtester Rahmenbedingungen seine Talente und Fähigkeiten entwickeln, also studieren zu wollen? Spricht die individuelle innere Motivation, die StudentInnen aufbringen, wenn sie Nebenjobs, Fahrtzeiten und das Bachelor/Master-bedingte Studienpensum bewältigen, um überhaupt studieren zu können, nicht für sich? Denn gerade diese Belastungen führen absehbar zu einer Verlängerung der Studienzeit und damit zu einer weiteren finanziellen Belastung. Somit wenden sich die Motivationskriterien in diesen Fällen gegen ihr eigenes Ziel.
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