Darwins Zeitgenossen waren durchaus bewegt von den großen Fragen. „Was die Welt im Innersten zusammenhält“, wollte Faust noch im ersten Teil wissen, da zog er schon mit Teufel und Homunkulus wie Kind und Kegel über die Weltbühne des zweiten Teils. So mangelte es nicht an Vorläufern der Evolutionstheorie. 1809 vertrat Lamark die Auffassung, dass die Umwandlung von Arten durch die Vererbung der zuvor erbrachten Anpassungsleistungen der Eltern bedingt ist. Nicht zu vergessen Gregor Mendel mit seiner Erbsenzählerei im Jahre 1865. Es lag etwas in der Luft: Der Mensch wurde der letzten Geborgenheit des Schoßes Gottes entrissen und in das Ungenau der Ursümpfe verwiesen. Als Charles Robert Darwins „On the Origin of Species“ am 24. November 1859 in London erschien, war die erste Auflage von 1.250 Exemplaren bereits am ersten Tag ausverkauft. Seitdem hat die Evolutionstheorie vor allem ein Problem: das der Plausibilität.
Das Geheimnis der Welt und des Lebens
Darwins Werk “Über die Entstehung der Arten durch natürliche Auslese oder das Erhaltenbleiben der begünstigten Rassen im Ringen um die Existenz“, so der deutsche Titel, klammert den Bezug auf die Menschheit vorerst aus. Zwar wird im dritten Kapitel bereits vom „Kampf ums Dasein“ (Struggle for Existence) gesprochen, und im vierten Kapitel der Begriff der „natürlichen Zuchtwahl“ (Natural Selection) entfaltet, jedoch nur in Bezugnahme auf die Tier- und Pflanzenwelt. Doch „Licht wird auch fallen auf den Menschen und seine Geschichte“, verspricht Darwin am Ende seines Buches. 1871 überträgt er schließlich mit “The Descent of Man“ seine Theorie auch auf die Entwicklung der Menschheit.
Die seitdem ständig weiterentwickelte Evolutionstheorie stellt für die Biologie das grundlegende Paradigma dar. Trotz ihrer Fehlinterpretation des Sozialdarwinismus, welcher der Zivilisation eindringlich ihre Grenzen aufzeigte, scheint sie die beste der schlechten Theorien zu sein. Diese Idee, dass der Mensch und der Affe die gleichen Vorfahren haben, erweist sich bei all ihrer Ungeheuerlichkeit als plausibel und akzeptierbar, doch das sehen beileibe nicht alle so. Die Kreationisten halten tapfer dagegen und reanimieren somit den alten Grabenkampf Evolution versus Schöpfungsglauben um ein weiteres. Diese dreist kalkulierende Dummheit, die sich gespeist aus dem rechtsradikalen US-Underground in den Offenbarungseiden der evangelikalen Sekten entlädt, hatte unter den Neokonservativen solch einen Einfluss genommen, dass in einigen amerikanischen Bundesstaaten die Unterrichtung der Evolutionstheorie im Biologieunterricht untersagt wurde. Kontrovers diskutiert wurde die Evolutionstheorie von jeher, doch aufgrund ihrer „Bodenständigkeit“ eben oft auch surreal.
Quo vadis, Homo sapiens?
Natürlich mangelt es nicht an ernstzunehmender Kritik an der Evolutionstheorie, respektive dem Umgang mit ihr. Unlängst erschien beispielsweise von Arno Kleinebeckel die Streitschrift „Seufzende Sterne“ zum Jubiläum. Zwar gilt die Evolutionslehre als das am besten belegte Modell zur Erklärung der belebten Natur, jedoch steht der wissenschaftliche Erfolg in keinem Verhältnis zu seiner Akzeptanz in der öffentlichen Meinung. Da diente es auch nicht der Verständigung, als die Massenmedien zum Jubiläum einen kleinen Hype veranstalteten. Doch auch die Wissenschaft ist gefordert, denn als Paradigma, mit dem Nimbus der Unfehlbarkeit ausgestattet, verkürzt die gegenwärtige Reputation der Theorie jede Diskussion um weiterführende Fragen der eigenen Verantwortung, gleichwie sie vielen Disziplinen ihr Regelwerk vom „Survival of the Fittest“ bereits oktroyiert hat.
Vielmehr müsste erörtert werden, ob eine Theorie, die Thomas Robert Malthus’ (1766-1834) Idee der Ressourcenknappheit zugrunde liegt, den zeitgemäßen Forderungen nach globaler Diversität gerecht wird oder eben nur die Spielarten eines Casinokapitalismus bedient. Teilen wir uns halt die gemeinsamen Vorfahren mit den Affen! – Aber was hat das bitteschön mit einer Ökonomie zu tun, die für die Menschen dasein sollte und nicht umkehrt? Wie kann man in einem Bildungssystem Chancengleichheit predigen und zugleich Elitenförderung betreiben? Warum eigentlich immer dieser Sound der Ursümpfe im Hintergrund? Wir fallen ja nicht in einen leeren Raum, nur weil Gott tot ist. Das Pflichtgefühl gegenüber der Ethik sollte keinerlei Theorie unterbinden. Das wird wohl auch Darwin gedacht haben, als er die Beagle die Galapagos-Inseln ansteuern ließ.
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