Bild:

Thompsons Nachgeburt war keine Plazenta, sondern eine Schreibmaschine. 1937 in Kentucky zur Welt gekommen, verfasste er bereits im Alter von zehn Jahren Sportberichte für seine eigene, hektographierte Vier-Cent-Zeitung „The Southern Star“. Doch aufgrund seines rebellischen Wesens von den amerikanischen Redaktionen ausgeschlossen, musste er sich zwischen 1954 und 1965 als Sport-Journalist in Südamerika durchschlagen. Erst 1964 ließ er sich schließlich in San Francisco nieder und stürzte sich sogleich in die gerade aufkommende Hippie-Szene. Spätestens seitdem war ein exzessives Leben sein Markenzeichen und die psychoaktiven Rauschmittel sein treuster Begleiter. „Höchst ungern empfehle ich Drogen, Alkohol, Gewalttätigkeit oder Wahnsinn, aber mir haben sie immer etwas gebracht“, so Thompson selbst dazu. Bald schon gehörte er zu den ersten AutorInnen des Rolling Stone, und bereits 1966 wurde ihm durch seinen Bestseller „Hell’s Angels: A Strange and Terrible Saga“ fortwährende feuilletonistische Gunst zuteil. Bereits seine Rocker-Reportage war von einer Ich-Form des Erzählens geprägt, die eine Subjektivität im Gegensatz zu dem stellte, was Thompson als die Scheinobjektivität des konventionellen Journalismus bezeichnete. Dieser als Gonzo-Stil bekannt gewordene Guerilla–Journalismus hatte sich spätestens nach Thompson’s Meisterwerk “Fear & Loathing in Las Vegas” innerhalb der schreibenden Zunft etabliert und sollte viele NachahmerInnen finden.

Das journalistische Versagen der Trinkkumpanei

Eine Perücke mit Minipli-Dauerwellen über den Kopf gestülpt und ein Sechserpack Bier in der Hand – so schlurfte Thompson durch die Redaktion, wie sich Jan Wenner, Gründer und Chefautor des Rolling Stone erinnert. Was hatte so ein Greaser im Zentrum der Politik zu suchen? „Wenn die Sache irre wird, werden die Irren die Profis“, hatte einst Dr. Gonzo selbst prophezeit, aber mit der Pose allein lässt sich Thompson’s Engagement nicht erklären. Vielmehr galt das Jahr 1971 als kritischer Wendepunkt der Hippie-Bewegung. So erklärte John Lennon in diesen Tagen in einem Interview: „Der Traum ist vorüber.

Es ist wie immer, nur bin ich inzwischen 30 und viele Leute tragen lange Haare; das ist alles.“ Doch ganz kampflos wollte man den GegnerInnen das Feld nicht überlassen, und so begann ein Kampf um Partizipation, der auch in Deutschland als „Marsch durch die Institutionen“ sein Pendant finden sollte. Bereits 1970 hatte sich Thompson einen Ausflug in die Politik erlaubt und für das Amt des Sheriffs in Aspen kandidiert. Unterstützt von einer „Freak-Plattform“ enthielt sein Wahlprogramm Forderungen wie die Legalisierung von Drogen, die Umwandlung aller Straßen zu Radwegen und die Umbenennung von Aspen in „Fat City“.

Als es darum ging, direkt aus dem Zentrum des demokratischen Wahlkampfteams über das Rennen zwischen Nixon und McGovern zu berichten, schickte der Rolling Stone schließlich Thompson. Das Resultat war laut McGovern „das wertvollste Buch über den Wahlkampf.“ Thompson ignorierte die traditionellen Tabus des politischen Journalismus; der Hinweis „nicht zur Veröffentlichung bestimmt“ existierte für ihn nicht. „Das beständige und fatale Versagen des politischen Journalismus in Amerika hat seine Wurzeln in einer Trinkkumpanei, die unausweichlich zwischen Politikern und Journalisten entsteht.“ Denn nächtliche Saufkumpels schwärzen einander nicht an. Thompson hingegen plauderte alles aus. Und schnell war der Gegner ausgemacht: „Nixon repräsentiert in seiner Person jene düstere, korrupte und unheilbar gewalttätige Seite des Amerikaners, die man inzwischen in fast allen Ländern der Welt zu fürchten und verachten gelernt hat.“ So entstand ein wütendes Buch. Ein schlechter Drogentrip, der sich der Realität verpflichtet fühlt; vielleicht das erste Buch über Politik überhaupt. Aber vor allem hatte Thompson’s subtil subjektive Herangehensweise Referenzcharakter. Ohne Dr. Gonzo wäre beispielsweise ein Micheal Moore heute nicht denkbar.

Am 20. Februar 2005 nahm sich Hunter S. Thompson nach langer Planung und wiederholter Ankündigung an seinem Schreibtisch durch einen Kopfschuss das Leben. Während der Trauerfeier wurde seine Asche von Johnny Depp mit einer Kanone in die Luft geschossen. Seitdem ist der Himmel grau, aber manchmal schmeckt er nach Anis.

0 comments

You must be logged in to post a comment.