CMP„Warum nicht Malle?“, flötet mir die Frau vom Reisebüro durchs Telefon. „Soll schöne Ecken haben.“ Doch irgendetwas sträubt sich gegen die Vorstellung, überhaupt auch nur einen Fuß auf die Balearen zu setzten. Gerade „Mallorca“, im 19. Jh. noch „Insel der Stille“ genannt, erweckt mit jährlich neun Millionen Urlauber, von denen drei Millionen Deutsche sind, nicht den Eindruck, mir das Refugium der Stille zu bieten, der ich so sehr bedarf. Schließlich überzeugt mich der Preis: 320 Euro für Flug und eine Woche Halbpension im Hostal mit eigenem Pool – das scheint mir das Risiko wert zu sein. Außerdem ginge es ja nicht in die Remmi-Demmi-Hochburg, sondern zu der ruhigeren Ostküste nach Cala d’Or, wie mir die Stimme am Telefon versichert. Also gut.

„Entspannen sich und angenehm“

Kaum gelandet, stelle ich fest, dass ich meinen Führerschein vergessen habe. Dabei hatte ich doch gehofft, eine Woche lang betrunken Motorrad fahren zu können. Wirklich schade. Vom Flughafen aus geht es mit dem Bus durch viele kleine Ortschaften in das von Palma 65 Kilometer entfernt liegende Cala d’Or. Während der Bus auf Wunsch der Reiseleitung durch die Altstadt von Palma de Mallorca tuckert, bereue ich, nicht die Hauptstadt gebucht zu haben. Es geht entlang üppigen Jugendstilfassaden, dann erscheint die Kathedrale mit dem benachbarten Almundaina-Palast, das Zentrum der ehemals arabischen Siedlung. Das Museum Es Baluard beherberge gegenwärtig eine Anselm-Kiefer-Ausstellung, wie die Reiseleitung zu berichten weiß. Überhaupt gibt es auf der Insel Einiges zu sehen. Viele Kulturen haben hier ihre Spuren hinterlassen. So lässt sich die früheste Besiedlung bis in das fünfte Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung nachweisen, seitdem waren sie alle da: Vertreter der Talaiot-Kultur, die Phönizier, die Römer, diverse Statthalter der Kalifate, die Almoraviden und natürlich immer wieder Piraten. Seit 1983 genießt man auf den Balearen einen weitgehenden Autonomiestatus, weshalb man sich selbstbewusst der katalanischen Sprache bedient.
Nun geht es über das Land. Aus dem Busfenster erkennt man Macchia und Carrigue bis hin zu Mandelbaumplantagen. Hier eine Finca, dort ein Granja – „like a spanish city, when we were kids”, summe ich diese kleine dumme Dire-Straights-Melodie und schäme mich nicht. Â
Schließlich gelangen wir an die Ostküste mit ihrer zerklüfteten Küste und den vielen verträumten Buchten. Und da sind wir auch schon in Cala d’Or und betreten das Hostal Bienvenidos. Eine annehmbare Unterkunft, die im Netz mit dem Slogan „entspannen sich und angenehm“ wirbt. Der Pool ist sauber, das Bier kommt aus Dortmund und ziemlich schnell ist man sich mit Manollo, dem Betreiber, einig, seine Wertsachen in einem Safe einzuschließen, der pro Woche 10 Euro extra kostet. Zwar verfüge ich über keine Wertsachen, aber das geht Manollo ja nichts an.

Roxy Music trifft Schubert

Was gibt es nun also von dieser Woche zu erzählen? Ganz ehrlich? – Nichts. Wechseln wir das Tempus und schalten einen Gang runter. Cala d’Or selbst war für meinen Geschmack zuviel Kirmes, zuviel Roxy Music. Doch wenigstens hatten sie nicht allzu viele Hochhäuser vor dem Strand hochgezogen. Die Bucht jedoch war wundervoll. So lag ich am Strand, ernährte mich von Fisch und las ein wenig in Ciceros Reden, manchmal griff ich sogar zur Bildzeitung. Ach herrje, was hätte man alles tun können! Allein schon das bergige Hinterland der Ostküste lockte mit Klöstern, Höhlen und wunderschönen Ortschaften. „Fahr nach Cala Figuerra“, riet mir Manollo. Und wirklich: dieser kleine, in zwei fjordartige, von Kalksteinfelsen gesäumte Buchten eingebettete Hafen, der sich verträumt in die pinienbestandene Landschaft einfügt, soll sehr sehenswert sein, ich aber wollte lieber am Strand liegen und über meinen Mp3-Player Schubert hören. Meine Güte, das kann man sich doch auch alles im Fernsehen anschauen, dafür muss man doch nicht seine Tagträumereien unterbrechen! Aber vielleicht eine stramme Wanderung über die bis zu 1400 Meter hohe Serra de Tramuntana, 150 Kilometer durch die Bergwelt bis zum Cap de Formentor? Vorbei an Valldemossa mit seinem ehemaligen Kloster, der Cartuja de Valldemossa, in der George Sand und Frédéric Chopin einen Winter verbracht haben, worüber die exzentrische Baronin in ihrem Buch „Ein Winter auf Mallorca“ aus dem Jahre 1839 Auskunft gibt. – Werde ich mir alles auf DVD anschauen, zuhause. Nichts ist scheinheiliger als ein so genannter Kultururlaub, da solch ein Unterfangen die Unfähigkeit zur Entspannung mit einer guten Absicht kaschiert. Schön ist es hingegen, wenn man mit sich selbst klar kommt.
Langsam geht die Sonne unter, das Thermometer zeigt 30 Grad. In Deutschland soll es wieder regnen. Ich spring noch mal ins Meer. (Carsten, wir hassen dich – Anm. der Restredaktion.)

Fazit: Mallorca ist so anmutig wie Schubert, doch durch den Massentourismus legt sich im Osten ein ephemer Hauch von Roxy Music über die Insel, während Palma von Jürgen Drews dominiert wird. Schade, wenn man wieder weg muss.

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