Bereits im Vorhinein herrschte Einigkeit, dass die Wahlbeteiligung erbärmlich ausfallen werde. Aber trotzdem scheuten weder Medien noch Politik davor, gebetsmühlenartig die Bedeutung europäischer Regelungen im Alltag herauszustellen. Es geht also um mehr, als um die Richtlinie über die Einheitsgröße von Kondomen. Worum genau, das konnte allerdings keine Partei im Wahlkampf sagen. Es wurde nicht über Sachthemen, sondern über Stimmungen und Parolen diskutiert: Soziales Europa? Starkes Europa? Mehr blonde Models im Parlament? Oder doch WUMS? Keine etablierte Partei besetzte länderübergreifend richtungsweisende Themen.
Parlament ohne Einfluss
Auch die wohl größten Mankos der Europäischen Union, Demokratiedefizit und Bürgerferne, wurden kaum adressiert, weil darüber eben nicht das Parlament, sondern die NatioÂnalregierungen entscheiden. Die Staats- und Regierungschefs legen die langfristige Politik der Europäischen Union auf den Ratstreffen fest, die von dem Ministerrat als Gesetzgeber und der Kommission als Exekutive ausgeführt werden, welche beide über die Regierungen der Mitgliedsstaaten besetzt werden. Das Parlament kann deren Entscheidungen nur noch abnicken oder kleine Veränderungen fordern. Es ist eine absurde Tatsache, dass die Deutschen bei der Bundestagswahl mehr Einfluss auf das politische Europa ausüben als bei der Europawahl.
Ellenlanger Wahlzettel
In Deutschland traten neben den sechs bereits im Europäischen Parlament vertretenen Parteien (CDU, CSU, SPD, Bündnis90/Die Grünen, FDP und Die Linke) noch 26 weitere politische Vereinigungen zur Wahl an. So wurde man auf solch skurrile Gewächse wie die Violetten, die Bayernpartei und die an der Ruhr-Universität notorisch bekannte Bürgerrechtsbewegung Solidarität aufmerksam. Die beiden rechtsradikalen Parteien, DVU und REP, konnten in Deutschland erfreulicherweise die 5-Prozent-Hürde nicht mal ankratzen. In den anderen europäischen Ländern sah die Sache schon anders aus: Dort war die Europawahl in erster Linie ein Denkzettel für die amtierenden Regierungen. In Österreich konnten drei rechtspopulistische Vereinigungen über ein Drittel der Wählerstimmen auf sich vereinigen. In den Niederlanden, wo bereits Donnerstag gewählt wurde, wurde die Freiheitspartei (PVV) von Geert Wilders sogar zweitstärkste Kraft.
Protestpartei Piratenpartei
Zum ersten Mal trat auch der deutsche Ableger der Piratenpartei bei einer bundesweiten Wahl an. Gerade bei technikaffinen Studenten und Studentinnen finden deren Forderungen nach einer grundlegenden Reformierung des Urheber- und Patentrechts, besseren Datenschutz und mehr Informationsfreiheit Anklang. Diese weltweite Bewegung nahm 2006 in Schweden ihren Anfang und konnte vor allem in Anschluss an die öffentlichkeitswirksame Verurteilung der Besitzer des Internet-Portals „The Pirate Bay“ im April 2009 viele neue AnhängerInnen gewinnen. Inzwischen ist die schwedische Piratenpartei mit circa 48.000 Mitgliedern die drittgrößte Partei des Landes und zwingt die älteren Parteien dazu, ihre Standpunkte zu überdenken. Hemmungslose OptimistInnen prophezeien der Partei ein ähnliches Schicksal wie den Grünen, die auch als Ein-Punkt-Bewegung anfingen, bevor sie sich anderen Themen zuwendeten und eine etablierte politische Kraft wurden. KritikerInnen verurteilen jedoch die Kirchturmpolitik, die sich hauptsächlich auf Ideen rund um den Computer und das Internet konzentriere, und von politischer Unerfahrenheit zeuge. Die Piratenparteien geben offen zu, dass sie sich auf anderen politischen Feldern komplett nach dem möglichen Koalitionspartner richten würden. Auch die energische Befürwortung von Filesharing seitens der Piraten sei laut ihren Gegnern lediglich ein Vorzug von Konsumgier gegenüber legitimen AutorenInnenrechten, der sich hinter der Maske der Hackersolidarität verstecke. In ihrem Heimatland konnten die Piraten mit 7,1 Prozent einen beachtlichen Erfolg verbuchen und erhalten einen der 18 schwedischen Sitze. In Deutschland hinkt die Piratenpartei bei der Europawahl den anderen Kleinparteien hinterher: Nach den Freien Wählern (1,7 Prozent) den Republikanern (1,3 Prozent), der Tierschutzpartei (1,1 Prozent) und der Familienpartei (1,0 Prozent) erreichte die Piratenpartei mit 0,9 Prozent nur den insgesamt elften Platz. Jedoch qualifiziert sie sich damit für die staatliche Parteienfinanzierung und erhält so Geldmittel für weitere politische Aktionen.
Lage in Bochum
In der „Herzkammer der Sozialdemokratie“ wurde die SPD zwar erwartungsgemäß die stärkste Kraft, verlor aber 1,3 Prozentpunkte und lag bei 33,8 Prozent. Das ist immer noch ein Riesenunterschied zum gesamtdeutschen Ergebnis, wo die SPD eher bei 20 Prozent rumdümpelt und ihr von allen Seiten der Status einer sogenannten Volkspartei aberkannt wird. Die CDU verlor in Bochum 3,8 Prozentpunkte und erreichte nur 28,9 Prozent. Die Grünen konnten ihr Ergebnis der letzten Wahl einigermaßen halten und lagen bei 14,5 Prozent mit einem Verlust von 0,4 Prozentpunkten. Die FDP (+ 3,4 Prozentpunkte) und Die Linke (+3,6 Prozentpunkte) gewannen Stimmen hinzu und lagen bei 8,7 und 7,0 Prozent. Alles in allem lässt sich feststellen dass in Bochum wie dem restlichen Pott das rot-rot-grüne Lager entgegen bundespolitischer Tendenzen gegenüber Schwarz-Gelb weiterhin über eine Mehrheit verfügt.
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