Der von der Studierendenvertretung organisierte „Gegen-Lehrplan“ soll ein Anlass dafür sein, selbstorganisiert Wissenschaftskritik zu leisten – obwohl die Ausgangslage in einem modularisierten und bürokratisierten Studium dafür denkbar schlecht ist. In der Institution Hochschule selbst gibt es seit den Reformen der 1970er Jahre kaum noch eine einflussreiche Basis, die sich wie einst die Kritische Theorie Frankfurter Provinienz der regulären Betriebshektik entzieht und wenigstens die philosophiegeschichtlichen Grundlinien als Konstitutionsgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft systematisch vermittelt.
Die Studierenden sind wieder auf sich selbst verwiesen. Diese strukturelle Isolation geht mit einer forcierten Veränderung der Studienorganisation einher. Einer wie Rudi Dutschke konnte 1963 noch an Mutter und Vater berichten: „Fühle mich ausgezeichnet zur Zeit; die tägliche 10-12stündige Studiererei, die ‚Anzapferei‘ u[nd] Exzerpiererei finden mich unersättlich“. Heute können viele Studierende nur schwerlich Zeit finden, um sich einmal ganz grundsätzlich mit selbst gesetzten Inhalten auseinander zu setzen. Nur selten setzen sich die Erfahrungen in eine entschiedene Kritik am Wesen der untrennbar in das Kapitalverhältnis eingebundenen wissenschaftlichen Ausbildung um. Die adminstrative Reorganisation der Hochschulen hat bei Vielen eher allgemeine Resignation zur Folge. Häufig bleibt die Erinnerung an das Humboldtsche Bildungsideal das höchste der Gefühle. Dabei geht die Rede von der „Chancengleichheit“ am Gegenstand vorbei.
In der neuen Hochschulwelt sollen Credit Points sollen quasi mathematisch genau entscheiden, was man noch zu „belegen“ hat. Damit sind sie Ausdruck der Verstellung, dass Leistung allgemein vergleichbar sein muss. Dieser Maßstab ist jedoch derjenige der Wertsubstanz abstrakter Arbeit. In ihm sind in der Tat alle Menschen einander gleichgesetzt. Gleichwohl sind die Studierenden von den materiellen Bedingungen der Organisation von Wissenschaft ausgeschlossen. Sie sollen AgentInnen von Einzelwissenschaften sein, die mit einem pluralistischen Methodenkanon daran arbeiten, den materiellen Arbeitsprozess zeitökonomisch effektiver zu gestalten. Allen voran stehen hier die Ingenieurswissenschaften und die Wirtschaftslehre. Die Geisteswissenschaften flankieren die Umsetzung dieser Ratio.
Das alte Kulturbewusstsein einer vom gesellschaftlichen Alltag zunächst einmal entbundenen Universität gilt nicht mehr. Die Studierenden erfahren selbst, dass ihnen die Produkte der eigenen Arbeit feindlich gegenübertreten. Die tatsächlichen Bildungsinhalte werden auf abstrakte Kennziffern reduziert und damit enthistorisiert. Durch solche Prozesse wird Bildungszeit annektiert.
Der ehemalige SDS-Aktivist und Adorno-Schüler Hans-Jürgen Krahl sprach von der „objektiven Integration relevanter Teile wissenschaftlicher Intelligenz in den produktiven Gesamtarbeiter“. Diese Analyse gilt auch heute noch, selbst wenn sie nicht mehr so deutlich zu hören ist.
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