Château-Gontier ist eine charmante Kleinstadt mit verwinkelten Gässchen, einer Boulangerie an jeder Ecke, einem großen Markt und überraschenderweise ohne Schloss. Das namensgebende Element der Ansiedlung nicht weit von der bretonischen Küste wurde nämlich im Zuge der französischen Revolutionsleidenschaft kurzerhand abgerissen und die Trümmer gänzlich unadeligen Zwecken zugeführt. Was für die Hochwohlgeborenen wohl eher unangenehm gewesen sein dürfte, ist heute unser Glück: Wir wohnen in einem gemütlichen Haus, dessen Holzgerüst aus Teilen des ehemaligen Schlosses errichtet wurde. Ein bißchen Revolution atmen wir so auch täglich im verschlafenen Château-Gontier. Inzwischen scheint die Wut auf die Obrigkeit indes nicht mehr so leicht zu entfachen zu sein. So wird hier, im Mutterland der Revolution, ein strenges Rauchverbot ohne jedes Murren hingenommen. Selbst hartgesottene Eckkneipengäste stecken sich ihre Kippen seelenruhig an der frischen Luft an, ohne an die Gründung von Raucherclubs zu denken oder mit den Existenzängsten der Unter-75-qm-Wirtschaften zu argumentieren. Dabei scheint der Weg vom Feuerzeug zum Brandsatz doch so kurz! Apropos Brandsatz: Die NATO-Konferenz interessiert hier auch nur ganz am Rande. Am Tag nach den Ausschreitungen in Straßburg macht die örtliche Tageszeitung mit einer Meldung über die Einweihung eines neuen Hindernisses im Hippodrom auf und kündigt die Wahl der Miss Mayenne an. Hach, wie schön!

Die oberen 10.000

Nicht weit von Château-Gontier tosen die Wellen des Ärmelkanals an die Côte Amoricaine, der sagenhaften Heimat von Asterix und Obelix. Die hohen Klippen am kahlen und im April auch weitgehend menschenleeren Cap Fréhel bieten das Gefühl, am Ende der Welt angelangt zu sein. Nur einige Kilometer weiter hofft das Städtchen St. Malo wahrscheinlich dringend darauf, von erneuten Revolutionen tunlichst verschont zu bleiben, um weiterhin ungestört als reiz- und stilvoller Wohnort der oberen 10.000 gelten zu können. Hier sagen sich die Ackermanns und Zumwinkels „Gute Nacht“, nachdem sie Austern und Wein geschlürft haben. Die Damen und Herren wissen eben, was gut ist: Der historische Stadtkern von St. Malo ist tatsächlich sehr schön. Dabei fällt angesichts der Pracht „Intra Muros“ kaum auf, dass der Ort im Zweiten Weltkrieg erheblich in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ach ja, der Zweite Weltkrieg: Auf dem Weg nach Frankreich hatte ich mir ganz fest vorgenommen, mich im Namen aller Deutschen aufrichtig für dieses Ereignis zu entschuldigen.

Irgendwie wurde ich mit meinem Vorhaben allerdings wenig ernstgenommen, hatte dafür aber immer einen Super-Witz auf Lager. Nur meine Gastgeber nahmen das Thema beim Essen noch einmal auf und versicherten mir freundlich, dass ich ja nix dafür könne. Abschließend kann ich daher leider schlecht beurteilen, wie hoch mein persönlicher Verdienst für die Völkerverständigung insgesamt einzuschätzen ist.
Verständigung ist ohnehin ein Problem, wenn man der Muttersprache des bereisten Landes nicht mächtig ist. Ältere Leute sprechen in der Regel gar kein Englisch. Aber auch in Gesprächen mit der eigenen Generation schützt die Weltsprache Nummer Eins nicht vor missverständlichen Situationen, insbesondere, wenn man auf Englisch sagen möchte: „Ich habe den Crêpe deiner Mutter probiert.“

Weltkulturerbe im Matsch

Ebenfalls in Schlagdistanz zu Château-Gontier erhebt sich der Mont St. Michel aus dem Matsch des Wattenmeeres. Dieses berühmte Postkartenmotiv im Original zu erleben, lohnt sich in jedem Fall. Zur Ausrüstung bei so einem Ausflug sollte unbedingt etwas zu essen oder aber ein Koffer voller Geld gehören, da ein einfaches Omelette im berühmten „La Mère Poulard“ auf dem Klosterberg nicht unter 32 Euro zu haben ist. Der Mont St. Michel ist aber auch aus nicht monetären Gründen äußerst eindrucksvoll. Das Kloster mit dem Erzengel Michael auf der Turmspitze überragt majestätisch die Felsen mit den dicht gedrängten alten Häuschen. Schaut man auf der richtigen Seite von oben herab, sieht man nichts als Mauern und bis zum Horizont Möwen und Wattenmeer. Das Meer selber war übrigens grade abwesend, kommt jedoch, so heißt es, regelmäßig vorbei und umspült das Weltkulturerbe.

Einige Tage und unzählige Mahlzeiten später: Deutschland. Dass wir wieder da sind, beweist spätestens ein belauschtes Gespräch im Zug. Eine ältere Dame hat „einen Bettler in der Bahn gesehen“ und will nun vom Schaffner wissen, ob das denn erlaubt sei. „Nein“, versichert der Schaffner der alten Schachtel, „aber so lange die Leute eben noch was geben….“ Nächster Halt: Bochum Hauptbahnhof.               Â

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