Im Auftrag des Innenministeriums befragte der Kriminologe Prof. Dr. Christian Pfeiffer Jugendliche aus 61 repräsentativ ausgewählten Landkreisen zum Themenkomplex „Jugendliche und Gewalt“. Doch trotz der aktuellen Hysterie um gewaltbereite Jugendliche ging das Hauptthema der Studie in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend unter. Bei genauerer Betrachtung keine Überraschung, schließlich zeigt Pfeiffers Befragung einen Rückgang von Gewalt und entsprechender Bereitschaft bei jungen Menschen. Dies deckt sich mit vergleichbaren Studien und Statistiken und lässt sich in Zeiten der „Amok-Berichterstattung“ schlecht vermarkten.
Generation Rechts?
Deutlich interessanter sind dagegen andere Zahlen: 40 Prozent der befragten Jugendlichen seien als ausländerfeindlich einzustufen, 14 Prozent sogar als „sehr ausländerfeindlich“. 3,8 Prozent der Jugendlichen gaben außerdem an, Mitglied einer rechtsextremen Organisation zu sein. Rechnet man diese Angabe hoch, sind deutschlandweit 34.000 NeuntklässlerInnen in rechten Vereinigungen organisiert. Der Verfassungsschutz geht jedoch insgesamt von „lediglich“ 31.000 organisierten Neonazis aus. Konservative Medien kritisieren die Studie daher scharf. Die Fragen seien suggestiv und SPD-Mitglied Pfeiffer ein „linker Ideologe“, der mit unwissenschaftlichen Methoden Legitimation für den „Kampf gegen Rechts“ erhaschen wolle. Im Interview mit der „taz“ verteidigt der Kriminologe jedoch seine Ergebnisse und weist die Kritik als „übliche Verharmlosungsversuche“ zurück. Die Zahlen des Verfassungsschutzes liefern laut Pfeiffer kein vollständiges Bild, da sie sich bloß auf „erkannte Gruppierungen“ beziehen. Wie viele rechtsradikale Gruppen vom Verfassungsschutz unbemerkt aktiv sind, sei ungewiss.
Rechtsextremismus als Massenphänomen
In der Öffentlichkeit wird Rechtsextremismus als Randproblem wahrgenommen. Nimmt man die Studie jedoch ernst, zeigt sich, dass diese Einschätzung geradezu fatal ist. Perspektivlosigkeit und schlechte Bildung machen es NPD und Co. leicht, Jugendliche durch Freizeitaktivitäten anzulocken. Gerade in dünn besiedelten Regionen der neuen Bundesländer gehören die NPD und „freie Kameradschaften“ zu den wichtigsten Ausrichtern „kultureller“ Veranstaltungen. Dies kritisiert auch Konrad Freiberg von der Polizeigewerkschaft. Der immer stärkere Rückzug des Staates aus Kultur und Bildung sei ein „gefundenes Fressen“ für rechte Rattenfänger. Ob die Situation tatsächlich bereits so katastrophal ist, wie die Studie vermuten lässt, will Pfeiffer in den kommenden Monaten selbst herausfinden. Die regionalen Unterschiede bei der Beantwortung der Fragen sollen vor Ort mit Organisationsgrad und Akzeptanz von rechtsextremen Gruppen verglichen werden. Pfeiffer erhofft sich, seine Zahlen genauer untermauern und auch Probleme konkret benennen zu können, die zu den erschreckenden Ergebnissen führen konnten. Solange das Phänomen Rechtsextremismus für viele Menschen nicht greifbar ist, wird die Studie nicht über den Status einer spektakulären Schlagzeile hinauswachsen können. Bestätigt sich jedoch, dass die offiziellen Zahlen des Verfassungsschutzes seit Jahren deutlich unterhalb realer Begebenheiten liegen, dann wird die Gesellschaft nicht umhinkommen, unangenehme Fragen nach dem Erbe des Nationalsozialismus auf breiter Basis zu behandeln.
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