Insgesamt haben sich an den zehn Erhebungen zwischen 1983 und 2007 fast 88.000Â StudentInnen beteiligt. Die Auswertung zeigt: Die Hochschulen können schon längst nicht mehr als Hort der Demokratie und des kritischen Denkens angesehen werden. Im Gegenteil: Sowohl die Zustimmung als auch die Gleichgültigkeit gegenüber autokratischen Gesellschaftsmodellen nimmt zu. 1983 schätzten sich noch 54 Prozent als politisch interessiert ein. Im Jahr 2007 gab nur noch eine Minderheit von 37 Prozent an, Interesse an Politik zu haben. Im gleichen Zeitraum halbierte sich außerdem der Prozentsatz derer, die ihre demokratische Haltung als „vehement“ bezeichnen: Eine ausgeprägt demokratische Gesinnung attestierte sich 2007 nur noch etwa jedeR siebte Studierende.

Mehr als jedeR Zweite wünscht sich inzwischen eine „harte Bestrafung von Kriminellen“ – eine Forderung, der sich 1985 deutlich weniger als ein Drittel der Studierenden anschlossen. Dafür ist heute nur noch gut jedeR Dritte der Meinung, dass der Staat das Recht auf Arbeit garantieren sollte. Auch für die Forderung, dass ArbeitnehmerInnen Mitbestimmungsrechte haben sollten, spricht sich nur noch ein Drittel aus.

Augen zu und durch

Warum hat sich ein Großteil der Studierenden von demokratischen Vorstellungen und sozialen Forderungen abgewendet? Es darf nicht vergessen werden, dass studentisches Leben in die ökonomischen und politischen Verhältnisse eingebettet ist. Dabei drückten gesellschaftliche Verhältnisse schon immer dem Campus ihren Stempel auf. Mitte der 50er Jahre sprach der Soziologe Helmut Schelsky von der „skeptischen Generation“ – die Politik der unmittelbaren Nachkriegsstudierenden war weitgehend konservativ. Mitte der 60er Jahre glaubte Viggo Blücher bereits die „Generation der Unbefangenen“ in ihren teach-ins anzutreffen, die für die Soziologen fließend in die von Rudolf Wildenmann und Max Kaase proklamierte „unruhige Generation“ der 1968er überging. Nach dem Zerfall der StudentInnenbewegung und der Zeit der großen Friedensdemonstrationen wurde in den 80er Jahren ein Rückzug aus dem öffentlichen Leben seitens der Studierenden diagnostiziert – der Prozess der Entpolitisierung nahm bereits dort seinen Anfang.
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Autokratie statt Partizipation

Heute spricht die Shell-Jugendstudie von der „pragmatischen Generation“; man dürfte sie auch die „Augen-zu-und-durch-Generation“ nennen. Gegenwärtig angesagte Werte seien Individualismus, aber auch Narzissmus und Hedonismus. Überzeugungen treten gegenüber konsumbezogener Selbstdarstellung in den Hintergrund.

So kommt es zu einer paradoxen Situation: In diesem politischen Vakuum können neoliberale Einstellungen bei den Studierenden an Terrain gewinnen, obwohl der durch diese Politik verursachte Leistungs- und Finanzdruck auf sie zunimmt. Die zumindest teilweise selbstverschuldete Unmündigkeit wird jedoch nicht als Ergebnis von politischen Prozessen, von Entpolitisierung und Entsolidarisierung gesehen, sondern als vermeintlich unveränderbare Rahmenbedingung.

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