bsz: Ihr plant einen Bildungsstreik im Frühsommer. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?
Finn: Auf die Idee gekommen sind eigentlich SchülerInnen aus Berlin, die schon öfter berlinweite Streiks organisiert haben. Letztes Jahr im November gab es dann den ersten bundesweiten Schulstreik, an dem sich bereits bis zu 100.000 Schülerinnen und Schüler beteiligt haben. Das ganze wollen wir noch verbessern und diesmal auch auf die Universitäten ausweiten, da Studierende unter den selben Einschnitten leiden. Wir alle wollen gemeinsam ein Zeichen setzen.
Lara: Schon im Oktober letzten Jahres gab es ein bundesweites Treffen zur Vorbereitung des ersten Schulstreiks am 12. November. Dort wurde vom bundesweiten Bündnis einstimmig gesagt, dass das nicht das letzte Mal gewesen sein darf. Auf einer weiteren Vorbereitungskonferenz in Kassel und über diverse Telefonkonferenzen wurde jetzt die 3. Juniwoche als Aktionswoche mit dem 17. Juni als Streiktag ausgewählt. Den Rest der Woche sollen Aktionen rund um dieses Thema und unsere Forderungen stattfinden.
Finn: Die Vorbereitungen stehen noch am Anfang, doch bisher unterstützen den Streik bereits viele BezirksschülerInnenvertretungen, einige ASten, und auch die DGB-Jugend ist dabei. Im Gespräch ist auch, dass der DGB und die Gewerkschaften den Streik unterstützen.
Ich bin zuversichtlich, dass der Streik bis Juni flächendeckend von allen ASten und Schülervertretungen getragen wird. Das Bildungssystem wird immer weiter nach den Wünschen der Wirtschaft umgebaut – was SchülerInnen und Studierende davon halten spielt überhaupt keine Rolle.
Mit dem Streik wollen wir demonstrieren, dass wir auch Macht haben und in Zukunft nicht einfach über die Köpfe der Schülerinnen und Schüler und der Studierenden hinweg entschieden werden darf.

bsz: Was ist eure Kritik an der Situation in den Schulen und an den Hochschulen?
Lara: Die Struktur unseres Schulsystems, die noch aus der Zeit der Preußen kommt, ist durch und durch selektiv und unsozial. Wir werden nicht zu mündigen und kritikfähigen Menschen ausgebildet, sondern bekommen nur das beigebracht, was andere für richtig halten. Wir lernen durch Dinge wie die Dreigliedrigkeit des Schulsystems und Kopfnoten nicht mit-, sondern gegeneinander. Unser Mitbestimmungsrecht wurde uns mit dem Abschaffen der Drittelparität auch gekürzt – SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen können nun nicht mehr gleichberechtigt in Schulkonferenzen entscheiden. Die Landesregierung sagt, es gäbe kein Geld für Bildung, aber es werden Milliarden in marode Banken oder in die Rüstung investiert. Es kann und darf nicht sein, dass unser Grundrecht auf Bildung und Gleichberechtigung im Bildungssystem – was besonders SchülerInnen mit Migrationshintergrund abgesprochen wird – so vor die Hunde geht. Schließlich ist unsere Bildung die Zukunft des Landes.
Finn: Um es in einem Satz zu sagen: Das Problem ist die fortschreitende Kommerzialisierung des Bildungssystems. Studiengebühren, die sogenannte „Verschulung“ der Unis durch Bachelor und Master, die Verkürzung der Schulzeit und die Einführung von Kopfnoten sind nur einige der Symptome davon. Wir müssen endlich weg von der Verwertungslogik im Bildungsbereich.

bsz: Wie kann man sich einen „Bildungsstreik“ vorstellen? Gehen SchülerInnen und Studierende einfach eine Woche nicht in den Unterricht?
Lara: Wir SchülerInnen solidarisieren uns zwar mit einer Streikwoche, haben uns allerdings dafür entschieden, den richtigen Streik nur eintägig zu halten. Das heißt, an diesem Tag stehen Schülerinnen und Schüler jeweils mit mehreren Leuten vor Unterrichtsbeginn an den Schulen und halten so viele wie möglich davon ab, das Gebäude zu betreten. Anstatt in den Unterricht gehen wir in einem Stermarsch zur Kundgebung.

bsz: Hast du konkrete Ideen, wie die Situation verbessert werden kann?
Lara: Ja. Die Abschaffung von Kopfnoten, die Wiedereinführung der Drittelparität in der Schulkonferenz, das Abschaffen des dreigliedrigen Systems und stattdessen ein Integrative Ganztagsgesamtschule und das Verbot von Sponsoring und Privatisierung im Bildungsbereich wären ein Anfang.

bsz: Die Mehrheit der Studierenden lehnt in Umfragen Studiengebühren ab, trotzdem wurden sie in sieben Bundesländern eingeführt. Woran liegt es, dass die meisten Studierenden nichts dagegen tun?
Finn: Menschen auf die Straße zu bewegen ist immer schwierig, und nach den jahrelangen Auseinandersetzung um Studiengebühren sind viele Studierende „protestmüde“.
Wir hoffen, dass die Studierenden beim Streik vom Elan der SchülerInnen angesteckt werden, die schon letztes Jahr mit 100.000 Leuten einen beeindruckenden Streik durchgeführt haben.

bsz: In Hessen wurden die Studiengebühren wieder abgeschafft, allerdings gab es dort mit SPD, Grünen und der Linken eine linkere Landesregierung als in anderen Ländern. Sind Proteste gegen Gebühren in konservativ regierten Ländern nicht aussichtslos?
Finn: In Hessen hat es zunächst auch Proteste gegen eine konservative Landesregierung gegeben – und zwar die größten und intensivsten, die es in ganz Deutschland gab. Ich glaube, gerade diesen Protesten ist es zu verdanken, dass Studiengebühren in Hessen nun Geschichte sind und die Landesregierung zumindest für eine Zeit abgewählt wurde.
Mit dem Streik wollen wir dafür sorgen, dass Studiengebühren und das ganze Bildungssystem Thema bei den anstehenden Wahlen werden. Die Konservativen werden es dann schwerer haben, ihre Haltung zu verteidigen. In Hessen hat das die Union ja schon gar nicht erst versucht.

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