Was ist aus der modernen Universität geworden, die – zumindest ihrem humboldtschen Gründungsmythos nach – nur der Erkenntnis und der Wahrheit verpflichtet sein sollte? Von was spricht man, wenn man heute „Bildung“ sagt? Und wie behauptet sich diese „Bildung“ gegenüber Forderungen nach reiner Ausbildung, Effizienz und Exzellenz? In insgesamt elf Beiträgen antworten PhilosophInnen, HistorikerInnen, Literatur-, Kultur- und TheaterwissenschaftlerInnen auf diese Fragen – und zwar in einer Dichte, wie man sie sonst selten geliefert bekommt.

Reformiert oder deformiert?

Der Bochumer Philosoph Bernhard Waldenfels etwa setzt dem Paradigma der Ökonomisierung ein Plädoyer für die Überschussproduktion entgegen, welche das Prinzip der universitären Forschung sein müsse. Die Hamburger Literaturwissenschaftlerin Marianne Schuller kritisiert in ihrem Beitrag, dass die gegenwärtigen Reformen einen Keil zwischen Forschung und Lehre treiben. Den Entscheidungsstrukturen an der Hochschule widmet sich die Wuppertaler Romanistin und Kulturwissenschaftlerin Ursula Link-Heer: Sie beschreibt die Beratung durch hochschulpolitische Lobbyisten als „Regimewechsel“, der seit den 1990er Jahren „mit äußerster Brutalität und Gewalt in einem besinnungslosen Tempo durchgesetzt wurde“. Versöhnlich zeigt sich dagegen die Berliner Politikwissenschaftlerin und SPD-Bundespräsidentschaftskandidatin Gesine Schwan: Sie macht die politisch-aufklärerische Rolle der Universität stark und erklärt, „dass gute, gleichsam ‚nachhaltige‘ Ausbildung keineswegs im Gegensatz zur Bildung steht.“

Nicht ohne Widerspruch

Es ist eine Stärke des Sammelbands, dass mancher Text auch zum differenzierten Widerspruch anregt. Der Mannheimer Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch etwa dignostiziert einen Bedeutungs- und Funktionsverlust der Universität. Etwas widersprüchlich beklagt er einerseits die Formalisierung, Verschulung und Enterotisierung der ehemaligen „Alma Mater“, um andererseits den notwendigen Stellenwert der Geisteswissenschaften ausgerechnet an Verwertungskriterien festzumachen: „Zur Klärung der offensichtlichen Großprobleme zu Beginn des 21. Jahrhunderts tragen Genforschung, Neurophysiologie und Biochemie wenig bei; dazu braucht man vergleichende Religionswissenschaftler, Byzantinisten, Koranexperten, Kulturanalytiker, Historiker, Demographen, Textkundige, Psychologen, Politologen, Soziologen.“

Authentisch politisch

Dass so manchem Beitrag die eigene institutionelle Bedingtheit sichtbar eingeschrieben ist – dass hier also WissenschaftlerInnen ihre eigenen Fachbereiche und Freiheiten zu verteidigen suchen – das kann nicht als Schwäche des Sammelbands ausgelegt werden. Denn gerade das kritische Nachdenken über die eigene Institution macht den authentischen Charme und die inhaltliche Qualität der Beiträge aus. Das führt abschließend der Mitherausgeber Nikolaus Müller-Schöll in seinem Aufsatz über die „Zukunft der Universität“ beispielhaft vor, der einerseits auf einem hohen Abstraktionsniveau Jacques Derridas Schriften zur Universität heranzieht, um vor diesem Hintergrund andererseits politisch handhabbar die „Wunden“ der aktuellen Hochschulreformen zu bestimmen.

Weil sie es können

Warum kümmern sich ausgerechnet TheaterwissenschaftlerInnen um diese Themen? Ulrike Hass und Nikolaus Müller-Schöll begründen das schon im Vorwort: Beide Institutionen, Universität und Theater, seien „auf das Engste mit der Idee der Aufklärung verknüpft und bilden Grundpfeiler für die Vorstellung der bürgerlichen Öffentlichkeit als eines Forums, in dem Fragen verhandelt werden können, welche die Gesellschaft als Ganze betreffen“. Das ist eine plausible Antwort. Wer den vorliegenden Sammelband liest, dem kommen gleich zwei weitere gute Gründe in den Sinn: Weil sie es können, und weil es sonst viel zu wenige tun.

Was ist eine Universität? Schlaglichter auf eine ruinierte Institution. Hg. v. Ulrike Haß und Nikolaus Müller-Schöll, Transcript Verl., Bielefeld 2009.,156 S., 12,80 EUR.

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