Die Streichung der Fördergelder seitens der Landesregierung hatte jedoch keine politischen Gründe, schließlich forciert die schwarz-gelbe Landesregierung auch seit Jahren die Privatisierung der Bildungslandschaft. Die Gründe waren stattdessen formaler und betriebswirtschaftlicher Natur. So hat es die Unileitung nach dem Ärger um den ehemaligen Sponsor Droege International aus Düsseldorf offenbar versäumt, dem zuständigen Ministerium einen ordnungsgemäßen Geschäftsplan für das kommende Jahr vorzulegen. Gründungsrektor Konrad Schily, der das Profil der Uni Witten/Herdecke maßgeblich geprägt hat, hält die offizielle Variante der Regierung lediglich für einen Vorwand, um der Uni zu schaden. Im Gespräch mit der WAZ schießt er wild gegen die schwarz-gelbe Landesregierung, in die er vor wenigen Jahren noch so große Hoffnungen setzte. „Ich denke, dass das Land die Uni am liebsten schließen wollte. […] Ich hatte gehofft, dass die Situation mit einer CDU/FDP-Regierung besser wird. Es wurde schlimmer.“

Insolvenz vorerst abgewendet

Während zunächst sogar unklar war, ob die Universität das Jahr 2008 wird „überleben“ können, ist immerhin die kurzfristige Zahlungsfähigkeit gesichert. Im Gespräch mit möglichen Sponsoren erklärten sich diese bereit, bei Zahlungsunfähigkeit unmittelbar einzuspringen. Der Unibetrieb ist also vorerst nicht in Gefahr, ohne neue Großinvestoren und eine Wiederaufnahme der Landesförderung steht die Privatuni jedoch schon sehr bald wieder vor dem mittlerweile vertrauten Problem. Im Gespräch zwischen der Unileitung und dem Ministerium bescheinigte dieses den „politischen Willen“ zur weiteren Unterstützung der Hochschule. Aus diesem Grund wurde nun eine unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft engagiert, um zu prüfen, ob die Entscheidung zur Streichung der Fördergelder formal korrekt war; oder ob eine Wiederaufnahme der Förderung gerechtfertigt ist.

Glückloser Geschäftsführer wirft das Handtuch

Obwohl er die Vorwürfe der Landesregierung inhaltlich zurückweist, trat zwei Tage nach der Hiobsbotschaft Uni-Präsident und Geschäftsführer Birger Priddat nach nur vier Monaten von seinem Amt zurück. Zu Beginn seiner Amtszeit hatte er erklärt, dass die Gewinnung neuer Sponsoren die Hauptaufgabe seiner neuen Tätigkeit sei. Bereits nach dem Streit mit der Unternehmensgruppe Droege und dem folgenden Ausstieg des Großsponsors wackelte der Stuhl des Geschäftsführers mächtig, die Streichung der öffentlichen Gelder versetzte Priddat nun den endgültigen „Todesstoß“. Ob die dramatischen Entwicklungen aber tatsächlich an einer Person, die zudem nur so kurz im Amt war, festzumachen ist, darf angezweifelt werden.

Wird alles Anders?

Priddats Nachfolger heißt Michael Anders. Dieser studierte von 1987 bis 1992 selbst Wirtschaftswissenschaften an der Universität Witten/Herdecke und leitete bisher als Kanzler die ebenfalls private Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft. Mit der Anwerbung privater Investoren kennt sich der neue „Kapitän“ also aus, um das sinkende Schiff wieder auf Kurs zu bringen. So war Anders auch viele Jahre für die „Software AG Stiftung“ tätig, die zu den Partnern der Wittener Privatuni zählt. Ob diese persönliche Nähe auch bei der finanziellen Unterstützung in Zukunft eine Rolle spielen wird, ist bisher reine Spekulation.
Moderne Medizin oder Hokuspokus?

Die Universität Witten/Herdecke, die mit rund 1.200 Studierenden zu den größten Privatunis Deutschlands zählt, setzt in erster Linie auf die Bereiche Wirtschaftswissenschaften und Medizin. Diese Disziplinen machen in Witten 60 von insgesamt 67 Lehrstühlen aus. Während die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät bei sogenannten „Hochschulrankings“ durchweg sehr gut abschneidet (was bei der wirtschaftlichen Lage der Uni geradezu paradox erscheint), stehen die medizinischen Fakultäten trotz ähnlich guter Ergebnisse häufig in der Kritik. Die Akkreditierung durch den Wissenschaftsrat war in der Vergangenheit an der Ausrichtung der Humanmedizin in Witten gescheitert. Erst als der Studiengang umgestaltet wurde, durfte die Universität wieder Neuimmatrikulationen entgegennehmen. Viele KritikerInnen sahen dies als reine Schikane des konservativen Wissenschaftsrates, der für Alternativen außerhalb der klassischen Schulmedizin verschlossen sei. Andere werfen der Uni dagegen weiterhin vor, „Hokuspokus“ zu unterstützen. Schließlich ist einer der Professoren auch Dietrich Grönemeyer, der nicht erst durch seines Betitelung als „Doktor Hokuspokus“ durch FAZ und Spiegel höchst umstritten ist.

Quo Vadis Privatuni?

Während Teilgebiete der Komplementärmedizin wie Akupunktur, Anthroposophie oder traditionelle chinesische Medizin sicher nicht ganz zu Unrecht in der Kritik stehen, gelang es der Privatuniversität, das Medizinstudium in vielen Punkten zu modernisieren und die Studierenden gezielter auf die Anforderungen im medizinischen Alltag vorzubereiten. Die Kritik am System „Privatuniversität“ darf nicht dafür blind machen, dass die oft konservativen und überbürokratisierten Strukturen an öffentlichen Universitäten dem Fortschritt von Forschung und Lehre im Wege stehen. Gleichsam zeigt gerade die Medizin an der Uni Witten/Herdecke aber die Abhängigkeit vom populärwissenschaftlichen Zeitgeist, der medienwirksam mit „Stars“ wie Dietrich Grönemeyer vermarktet werden kann, um neue Geldgeber zu gewinnen. Wissenschaftlich steckt trotzdem großes Potential in Witten, welches nicht einfach verschenkt werden darf. Dem Modell „Privatuniversität“ zeigt der Markt jedoch immer wieder seine Grenzen auf. Ob die Universität Witten/Herdecke in dieser Situation ihre wissenschaftliche Freiheit bewahren (oder wiedergewinnen?) kann und weiterhin als problembehaftetes – aber letztlich überlebensfähiges – Vorzeigeobjekt zu dienen im Stande ist, wird vielleicht das kommende Jahr zeigen.

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