„Die Geburt der Deutschen“ überschrieb der Spiegel am 15.12.2008 seine Titelgeschichte anläßlich des zweitausendjährigen Jubiläums der Varusschlacht, „als die Germanen das Römische Reich bezwangen“, so der Untertitel. Nun haben die Germanen natürlich nicht mit der Varusschlacht das Römische Reich bezwungen, das bekanntlich bis 476 bestehen blieb, als der Germane Odoaker den letzten weströmischen Kaiser Romulus Augustulus absetzte; das oströmische Reich blieb sogar noch wesentlich länger bestehen. Auch kann von keinem tradierten germanischen Widerstand von Arminius bis Odoaker die Rede sein, da die germanischen Stämme, die in der Spätantike in Italien eindrangen nicht auf eine verspätete Rache für die augusteische Expansionspolitik aus waren, sondern sich ihrerseits auf der Flucht vor den nachrückenden Hunnen befanden – Stichwort: Völkerwanderung. Gleichwohl erfreuen sich die Konstruktionsversuche einer nationalen Identität, die auf Mythen- und Legendenbildung gerichtet ist, auch heutzutage einer großen Nachfrage. Â
Doch was passierte wirklich an diesen Septembertagen im Jahre 9 nach Christus, als der römische Oberbefehlshaber in Germanien Publius Quintilius Varus von dem Cheruskerfürsten Arminius in einen Hinterhalt gelockt wurde und drei seiner Legionen – mit Tross und Hilstruppen 22.000 Mann – in einer viertägigen Schlacht verlor? Man weiß es nicht. Es sind keinerlei Berichte beteiligter Zeugen überliefert. Allein über den Ort der Schlacht kursieren über 700 Theorien, Tendenz steigend, wobei jedoch gemeinhin angenommen wird, sie habe am Kalkriesen westlich der Porta Westfalica stattgefunden.
Doch wie hatte es überhaupt zur Varusschlacht kommen können? Bereits 16 vor Christus hatte Kaiser Augustus den Plan gefasst, die Reichgrenze bis an Elbe und Donau vorzuschieben. 12 vor Christus war die Invasion begonnen worden, und die römischen Kohorten waren tief ins germanische Feindesland vorgedrungen. Drei Jahre später hatten die Invasoren schließlich die Elbe erreicht; die Provinz Germania Magna galt somit als erobert.
Der viertägige Todesmarsch der Legionen
Varus, dessen Aufgabe es war, in den römisch beherrschten Gebieten das römische Recht und insbesondere das römische Steuerrecht einzuführen, galt als erfahrener Verwaltungs- und Militärfachmann. Allerdings war er bei den unterjochten Germanen nicht sehr beliebt. Sein Gegenspieler Arminius galt als verlässlicher Bundesgenosse der Römer. Wohlmöglich ab 8 vor Christus in Rom erzogen und ausgebildet, war er in den römischen Ritterstand erhoben worden und diente als Kommandeur der Hilfstruppen. Er kannte die Militärtechniken des Imperiums, wie den schnellen Ausfall oder die erste Angriffswelle der schweren Speere der Infanterie. Dieses Wissen sollte ihn alsbald befähigen, dem Römischen Reich den Verlust eines Achtels seiner imperialen Streitkräfte beizubringen.
Der Zug der Legionen muss 15 bis 20 Kilometer lang gewesen sein, er zog sich durch enge Täler und Morast. Immer wieder attackierten die Germanen die Flanken der Kolonne und trennten einzelne Truppenteile voneinander. Für die ersten zwei Nächte konnte Varus noch ein befestigtes Lager errichten lassen, doch am vierten Tag waren die Römer besiegt, und der Befehlshaber ließ sich in sein Schwert fallen. Schauderhaft beschrieb der römische Historiker Tacitus das Schlachtfeld: „In Hainen in der Nähe standen die Altäre der Barbaren, an denen sie die Tribunen und Zenturionen ersten Ranges geschlachtet hatten“.
Nun war das Grauen in Rom angekommen: der Prestigeverlust des Princeps, der nur mühsam mit der augusteischen Propaganda vom „Goldenen Zeitalter“ kaschiert werden konnten, sowie der ewige Verlust der Gebiete zwischen Elbe und Rhein, denn die abgefallene Provinz Germania Magna geriet nach der Schlacht nie wieder unter römische Vorherrschaft.
Dem „Heerkönig“ Arminius, dem es gelungen war, von vierzig Stämmen zwanzig zur Rebellion zu vereinen, war ein trauriges Ende bestimmt. Sein Bündnis war nicht von Dauer und im Alter von 37 Jahren fiel er schließlich einem Meuchelmord zum Opfer.
Fortsetzung folgt: Lest in der nächsten bsz, welchen Einfluss die Varusschlacht auf die Zeitgenossen der kommenden Jahrhunderte ausübte und wie sehr sie für die Konstruktionsversuche nationaler Identität missbraucht wurde.
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