Zuvor hatte der Kölner Liedermacher Kriss mit einem überzeugenden Auftritt sein Debüt-Album „Flow’n Love“ einem begeisterten Publikum vorgestellt. Und Götz Widmann hatte einmal mehr sein sicheres Gespür für Support-Acts unter Beweis gestellt. Kein Zweifel, die Community wächst. Viele ProtagonistInnen der neueren Liedermachergeneration – der sogenannten „Liedermachings“ – wurden von Widmanns ehemaliger Band Joint Venture stilbildend beeinflusst. Liedermacher Kriss behauptet sogar, bei Widmann in die Berufsschule gegangen zu sein. So geht auch weiterhin alles seinen Gang, und eine oft marginalisierte Szene findet ihren Weg jenseits des Mainstreams, bei optimaler Ausnutzung der neuen Medien. Gerade myspace hat der Bewegung einen gehörigen Vorschub geleitstet, und es verwundert nicht, dass Kriss seine CD auch auf einem USB-Stick zum Verkauf anbietet.
Auf der Bühne spielt das Leben
Es lässt immer auf einen guten Gig hoffen, wenn die Fans vor der Abendkasse damit prahlen, bereits das vierte oder sechste Konzert des Künstlers zu besuchen. Widmann, der seit dem Tod seines musikalischen Partners Martin Simon im Jahre 2000 solo unterwegs ist, gilt mittlerweile als eine Ikone der gegenwärtigen Szene. Kaum einer versteht es besser, das Publikum mitzureißen. Langsam geht er auf die Fünfzig zu, doch immer noch ist seine Bühnenpräsenz ein Versprechen aus Schweiß und Ekstase. In seiner Performance erinnert Widmann an eine trunkene Mischung aus Ivan Rebroff und dem Steve Jones der späteren Sex-Pistols-Phase. Mal ist er Kämpfer und verweist auf einen polternden Gunter Gabriel, mal wirbt er um Verständnis und haucht bald kratzig-sanft wie Rio Reiser. Selbst seine Ansagen geraten zu kleinen Kunstformen, die an den jungen Wiglaf Droste gemahnen. Doch Widmann ist mehr als von allem ein bisschen. Widmann ist vor allem authentisch, und allein das wirkt heutzutage zuweilen schon subversiv. Ob er die Klassiker „Die Zaubersteuer“ oder „Das Leben sollte mit dem Tod beginnen“ von seiner legendären „Drogen“-CD zum Besten gibt, oder mit diversen Songbeiträgen auf seine neue CD „böäöäöäöäöä“ verweist – dem Klang nach meint Widmann das alles ernst, auch wenn er selbst dabei viel lachen muss.
Wie es rockt!
Und ja, es rockt. Es rockt weit mehr als bei Funny van Dannen, weil die ironischen Brechungen nicht länger prononciert, sondern gerotzt werden. Dieser argumentative Punkgestus, mit dem die launigen Stories einer verkommenen Bukowski-Welt auf das Trapez geschwungen werden, galt lange als vermisst. Dazu auf der Bühne ein Mann mit seiner Gitarre, der pausenlos nach vorne will in einem Tempo, das sich naturgemäß auf das Publikum übertragen müsste. Aber man darf sich kein falsches Bild machen: Natürlich wird nicht getanzt, dazu ist man viel zu easy. Im Gegenteil, das Publikum lümmelt sich im Schneidersitz auf dem Parkett rum und dreht eine Tüte nach der anderen. Doch der Schein trügt, denn jeder scheint voll dabei zu sein, und die meisten wippen sitzend mit. Offenbar wird das Tanzen überschätzt, nicht hingegen das Mitsingen. So lässt das Publikum das Mantra zu dem Song „Landkommunenhippie“ noch erschallen, als Widmann bereits lange von der Bühne gegangen ist und sich auf seine zweite Zugabe vorbereitet. Drei Zugaben sollten es schließlich werden, bevor jede/r zufrieden nach Hause gehen konnte. Drei Stunden bester Unterhaltung waren vergangen. Es ist unwahrscheinlich, dass Götz Widmann in den kommenden Jahren einen Fan verlieren wird. Wir freuen uns auf mehr.
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