Was an jenem Morgen des 29. September 1978 begann, war der Auftakt zum sogenannten Dreipäpstejahr, dessen dreißigjähriges Jubiläum wir in diesen Tagen zwischen Börsencrash und US-Präsidentschaftswahl zu begehen vielleicht die Muße finden. Am 15. Dezember 1969 erst war Bischof Albino Luciani (so sein bürgerlicher Name) von seinem päpstlichen Vorgänger Paul VI. zum Patriarchen von Venedig ernannt worden – eine weitere Last für den Prälaten, der Ämter und Funktionen gerne Anderen überlassen hätte und stets betonte, es vorzuziehen, ein einfacher Dorfpfarrer zu sein, wobei die Pflichttreue ihn allerdings davon abhielte.

Pillen-Paul und der Geist von `68

Sein Vorgänger Papst Paul VI. dürfte solcherlei Simplifikationsgelüste wohl verstanden haben. Zwar hatte Paul VI. durch seine prägende Rolle im Zweiten Vatikanischen Konzil einige Pluspunkte bei den jungen Reformern sammeln können, und auch durch seine am 4. Oktober 1965 vor der UNO gehaltene Rede „Jamais plus la Guerre!“ hatte er sich den Annalen empfehlen können, doch sollte ihm seine Enzyklika Humanae Vitae bald den spöttischen Beinamen ‚Pillen-Paul’ einbringen: Nur wenige Jahre nach der Markteinführung der Anti-Baby-Pille hatte Paul VI. die Möglichkeit einer künstlichen Empfängnisverhütung vehement zurückgewiesen und sich somit auf Konfrontationskurs zum Zeitgeist liberalisierter Sexualität begeben. Trotz Liturgiereform und der diplomatischen Öffnung gegenüber den kommunistischen Staaten wurde Paul VI. zeitlebens angefeindet und verkannt. So starb er denn am 6. August 1978 im päpstlichen Sommersitz Castel Gandolfo.

Kaum dass drei Wochen vergangen waren, wurde am 26. August 1978 Albino Luciani nach einem nur eintägigen Konklave zum 262. Papst der Kirchengeschichte gewählt. „Oh Gott! Welch’ Lasten bürdest Du auf meine müden Schultern?“, mag der künftige Johannes Paul I. wohl gedacht haben – nicht zuletzt da er zum Zeitpunkt seiner Wahl gesundheitlich bereits schwer angeschlagen war. Doch sollte Johannes Paul I. durch sein freundliches Auftreten rasch als Sympathieträger innerhalb und auch außerhalb der Glaubensgemeinschaft reüssieren. „Der lächelnde Papst“ wurde er genannt. Den Pluralis majestatis unterließ er in öffentlichen Schreiben, und stets war er versucht, sämtliche Huldigungen seiner Person zu vermeiden. Medienhistorisch profilierte er sich als erster Papst, der selbstständig ein Telefon bediente. Seine nur dreiunddreißig Tage währende Amtszeit zeichnete sich durch viele liberale Erneuerungen aus, weshalb auch heutzutage allerlei (wilde) Spekulationen über weitere Liberalisierungen der Kurie im Falle eines längeren Pontifikats nicht abreißen wollen: Hätten sich die Mitglieder der katholischen Glaubensgemeinschaft eines Tages ohne Fortpflanzungsdiktat körperlich lieben dürfen?

Der kalte Krieger und das erste Pontifikat der Medien

Des Papstes Nachfolger Johannes Paul II. jedenfalls verteidigte zum Thema Sexualität eine klare Position: Jede Paarung, die nicht der Fortpflanzung diene, sei eine „fehlgeleitete Sexualität“. Abtreibung sei Mord – und bloß keine Kondome! Da lieber den tiefen Genüssen der Enthaltsamkeit frönen – Aussagen, die selbst bei der UNO zu Protesten führten. Ganz zu Schweigen von der Empörung zahlreicher Schwule und Lesben, denen Johannes Paul II. zur Keuschheit riet. Trotzdem verstand es Karol Józef Wojtyla (so sein bürgerlicher Name), sich in die Herzen der Zeitgenossen zu spielen. Geschickt inszenierte er sich auf seinen zahlreichen Weltreisen in den Massenmedien, so dass man bald von einem „Medienpapst“ sprach. Sein sechsundzwanzig Jahre und fünf Monate währendes Pontifikat kannte viel Erzählenswertes. Wußten Sie eigentlich, dass das Geschoss, das bei dem Attentatsversuch am 13. Mai 1981 den päpstlichen Bauch durchdrang, heute vergoldet und in eine kleine Krone gefaßt das Haupt der Madonna von Fátima ziert? Historisch relevanter ist, dass des Papstes Einfluss eine maßgebliche Rolle bei der Überwindung des Kommunismus in Osteuropa und speziell in seinem Heimatland Polen zugeschrieben wird. Ein Ergebnis seiner kontemplativen Erhabenheit war gewiss das päpstliche „mea culpa“, das Johannes Paul II. am 12. März 2000 im Namen der Kirche für die Verfehlungen in Glaubenskriegen, Inquisition und Judenverfolgung aussprach.

Was wäre wenn?

Nachdem er am 2. April 2005 in der Vatikanstadt verstorben war, kam es zu zahlreichen internationalen Trauerbekundungen. Zu seinem Nachfolger wurde der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger gewählt, und die Bildzeitung titelte national-beflügelt: Wir sind Papst, doch das ist eine andere Geschichte.

Zu fragen bleibt, wie die katholische Glaubensgemeinschaft heute aussehen würde, wäre nicht in der Nacht vom 28. September 1978 Papst Johannes Paul I. nach einem nur dreiunddreißig Tage währenden Pontifikat gestorben. Hätte der aus dem norditalienischen Forno di Canale stammende Albino Luciani mit seinem Lächeln die Welt verzaubern können? Und finden sich vielleicht Hinweise über einen möglichen Fortgang der Kirchengeschichte in den zahlreichen Verschwörungstheorien, die sich um seinen unerwarteten Tod ranken? Mit Sicherheit nicht. Allein seinem Lächeln wollen wir heute gedenken – sowie den potentiellen Verheißungen, die es versprach.

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