Gefeiert wird am 3. Oktober nun schließlich auch offiziell lediglich die „Deutsche Einheit“, nicht der Sieg der Demokratie über Diktatur und Unterdrückung. Beinahe unbemerkt werden diese ganz und gar unterschiedlichen Folgen des Mauerfalls gleichgesetzt. Wäre eine Demokratie im Osten Deutschlands etwa weniger wert, wenn sie unabhängig von der BRD entstanden wäre? Worte zum Tag der Deutschen Einheit entlarven leider viel zu oft, dass nicht Werte wie Menschenrechte oder Freiheit im Vordergrund stehen, sondern nationales Bewusstsein. Die Unterdrückungspolitik der SED bot manchen ein gutes Alibi, um nach 1945 wieder „großdeutsch“ und „völkisch“ zu denken.
Nicht die Wiedervereinigung Deutschlands sollte doch der zentrale Aspekt sein, sondern die Durchsetzung freiheitlicher Grundsätze in der ehemaligen DDR. Ein kritischer Dialog über Nationalismus im Zuge der Feierlichkeiten am 3. Oktober ist kaum möglich. Schnell fällt der Vorwurf, das SED-Regime zu verharmlosen und Deutschland auf die Nazi-Zeit zu reduzieren. Gefährlichen Nationalismus gab es jedoch nicht bloß zwischen 1933 und 1945. In dieser Zeit spitzte sich dieser allerdings zur vielleicht größten Katastrophe der Menschheitsgeschichte zu. Ein größenwahnsinniger Nationalist, Antisemit und späterer Massenmörder kam nicht durch Zufall an die Macht, sondern weil er eine immer größere AnhängerInnenschaft von sich begeistern konnte.
Unter Berücksichtigung dieser historischen Fakten erscheint es unverantwortlich, den Nationalismus Deutschlands auf die Nazi-Zeit zu reduzieren. Er existierte vor 1933 und existierte auch nach 1945 fort. Daher ist es von enormer Wichtigkeit, nationalistische und faschistische Bestrebungen frühzeitig zu entlarven, bevor sie Schaden anrichten können. Am 20. September gelang dies in Köln, als rund 50.000 Menschen gegen die rechtsextreme Partei „pro Köln“ auf die Straße gingen. Doch dies war nur ein kleiner Erfolg, der keinesfalls für weitere Gefahren blind machen darf.
Ein Kommentar von Jan Keitsch
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