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altbsz: Das us-amerikanische „Rettungspaket von 700 Milliarden Dollar für notleidende Bankhäuser“ geht vor allem zu Lasten der steuerzahlenden Bevölkerung: Während die Mittelklasse mit ihren gepfändeten Immobilien im Regen stehen bleibt, werden Großunternehmen generös abgestützt. In welcher marktökonomischen Logik bewegt sich eine solche Finanzpolitik?

Offensichtlich befürchtet die Regierung derart gravierende Folgen für die US-Wirtschaft, dass sie sich zu diesem Eingriff gezwungen fühlt. Sollten durch das geplante, politisch aber höchst umstrittene Rettungspaket die negativen Folgen der Bankenkrise wirksam gemindert werden, nutzt dies natürlich auch der Mittelschicht.Eine anhaltende oder sich verschärfende Finanz- und Wirtschaftskrise träfe gerade die Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen besonders hart. Dennoch bleibt die bittere Erkenntnis, dass nach Jahren enormer individueller Gewinne nun die immensen Verluste sozialisiert werden. Dies ist sicher keine Werbung für das Prinzip Marktwirtschaft.

bsz: Macht eine solche Politik selbst unter rein ökonomischen Prämissen überhaupt Sinn oder sind die 700 Milliarden nur Tropfen auf jene Steine, die den Weg in die nächste Krise pflastern?

Die aktuelle Finanzkrise ist auch eine Folge von Intransparenz. Verluste und Risiken einzelner Institute dringen nur scheibchenweise an die Öffentlichkeit, so dass das endgültige Ausmaß der Krise immer noch nicht absehbar ist. Dies führt zu wachsendem Misstrauen zwischen den Marktteilnehmern. Weit über die in Dollar messbaren Verluste hinaus kann anhaltende Unsicherheit die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes beeinträchtigen. Vor dem politischen Hickhack Ende der vergangenen Woche hatte hier bereits die Ankündigung des Rettungspakets offenbar den ersten Zweck erfüllt – eine vorläufige Beruhigung der Märkte. Allerdings kann dieser Effekt schnell verpuffen, wenn sich herausstellen sollte, dass die im großen Maße angestrebte staatliche Übernahme fauler Kredite nicht effektiv durchgeführt werden kann. Außerdem steigen mit einem kreditfinanzierten Rettungspaket Haushaltsdefizit und Staatsverschuldung. Sollten die USA schließlich doch in einen wirtschaftlichen Abschwung rutschen, könnte das aktuelle Rettungspaket den finanzpolitischen Spielraum künftiger US-Regierungen spürbar einschränken. Ordnungspolitisch ist das Rettungspaket natürlich fatal. Welche Anreize gibt es in Zukunft noch, sensibel mit Risiken umzugehen, wenn der Staat am Ende doch die Zeche zahlt?

bsz: Bedeutet die Transformierung der beiden letzten US-Investmentbanken, Goldman Sachs und Morgan Stanley, als bisherigen Impulsgebern der Wall Street in gewöhnliche Geschäftsbanken, die nunmehr der staatlichen Aufsicht unterliegen, einen Paradigmenwechsel in der US-Finanzpolitik? Garantiert dies tatsächlich eine effektivere Kontrolle des „Kasinokapitalismus“ oder handelt es sich lediglich um eine symbolische Korrektur?

Die Umwandlung hat sicher auch symbolische Bedeutung: Sehet her, der Staat wird aktiv, er unterstellt das bisher eher spärlich regulierte Investmentbanking der strikten Geschäftsbankenaufsicht. Ob und inwiefern die beiden Banken in Zukunft aber ihre Geschäftsstrategien ändern werden, lässt sich wohl noch nicht abschätzen. Festzuhalten bleibt, dass die US-Investmentbanken offensichtlich nicht in der Lage waren, ihre enormen Freiheiten zu nutzen, um wirksame interne Kontrollmechanismen zu entwickeln. Ordnungspolitisch könnte diese Umwandlung als Ausdruck steigender Akzeptanz staatlicher Regulierung interpretiert werden und damit auch ein Signal für andere Wirtschaftsbereiche sein.

bsz: Ist der Finanzmarkt durch regulative Eingriffe nach „US-Vorbild“ überhaupt stabilisierbar oder bedarf es vielmehr grundlegender Restriktionen des Börsenkapitalismus – etwa durch internationale Regelungen, die besonders riskante Formen der Geldanlagen und Finanztransaktionen (wie zum Beispiel „Leerverkäufe“) gesetzlich unterbinden?

Stabile Finanzmärkte können auf Dauer sicher nicht durch sporadische Staatsinterventionen gewährleistet werden. Vielmehr bedarf es einer internationalen Harmonisierung der bankenaufsichtlichen Regelungen. Seit Jahren wird im Rahmen des sogenannten Basel-II-Prozesses versucht, weltweit einheitliche Vorschriften zur Verbesserung des Risikomanagements der Finanzinstitute verbindlich einzuführen. Während die Umsetzung von Basel II etwa in der EU schon weit fortgeschritten ist, hinken ausgerechnet die USA hinterher. Allerdings: Mehr Regulierung bedeutet nicht notwendigerweise bessere Regulierung. Ein dichtes Regelwerk birgt die Gefahr, dass Geschäftsstrategien verstärkt auf die Ausnutzung möglicher Regelungslücken getrimmt werden und sich damit der Aufsicht erneut entziehen. Und Verbote mögen zunächst mehr „gefühlte“ Sicherheit vermitteln. Im ungünstigen Fall träfe es aber gerade jene Instrumente, die in der Öffentlichkeit als äußerst gefährlich gebrandmarkt sind, obwohl sie bei verantwortungsvollem Einsatz die Stabilität der Finanzmärkte erhöhen könnten.

bsz: Wäre zudem die Einführung einer bereits 1972 vom Wirtschaftsnobelpreisträger James Tobin vorgeschlagenen globalen Devisenumsatzsteuer hilfreich, um das zunehmende Auf-und-Ab an den internationalen Finanzmärkten weniger risikoreich zu gestalten?

Tobin hatte diese Form der Besteuerung ursprünglich vorgeschlagen, um insbesondere kleinere Länder gegen kurzfristige Devisenspekulationen zu schützen. Einen direkten Zusammenhang mit der derzeitigen Krise sehe ich daher noch nicht. Erwähnt werden sollte jedoch, dass Tobin die Devisenumsatzsteuer explizit als flankierendes Instrument zum weiteren Ausbau des freien Handels und nicht als protektionistische Maßnahme verstand.

bsz: Welche weltweiten Auswirkungen der US-Bankenkrise sind zu befürchten?

In der EU intensivieren sich die Anzeichen für eine Abkühlung der Konjunktur. Speziell für Deutschland würde dies bedeuten, dass die angestrebte Konsolidierung der Staatsschulden verzögert oder gar gefährdet und der Abbau der Arbeitslosigkeit verlangsamt oder gar gestoppt würde. Die Auswirkungen auf die Schwellen- und Entwicklungsländer könnten sehr viel drastischer ausfallen. Wenn die Krise weiter um sich greift, wandert das dort zum Aufbau der heimischen Wirtschaft dringend benötigte Kapital verstärkt in die „sicheren Häfen“ der Industrienationen. Massiver, kurzfristiger Kapitalabfluss aus Ländern mit noch jungen Märkten und wenig entwickelten Institutionen kann zur nachhaltigen Destabilisierung ganzer Volkswirtschaften führen. Die besonders armen Länder laufen darüber hinaus Gefahr, dass die Unterstützungsbereitschaft der reichen Länder aufgrund der Krise abnimmt.

bsz: Lässt sich aus den Erfahrungen der Finanzkrise der Schluss ziehen, dass eine weitere wirtschaftliche Globalisierung die Gefahr eines künftigen weltweiten Börsencrashs verstärken würde?

Durch die Globalisierung sind die weltweiten Finanzmärkte stärker verflochten denn je. Auf der einen Seite kann sich daher die eigentlich hausgemachte Finanzkrise in den USA schneller auf nahezu den gesamten Globus ausweiten. Auf der anderen Seite schafft der höhere Verflechtungsgrad aber auch neue Formen der Stabilisierung. So haben die amerikanischen Finanzgiganten mitten in der Krise enorme Kapitalspritzen asiatischer Investoren erhalten. Gerade die steigende gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit macht die Märkte zwar komplexer, aber nicht unbedingt unsicherer. Die chinesische Regierung hält beispielsweise einen großen Teil der US-amerikanischen Staatsanleihen. Sie hat daher ein unmittelbares Interesse daran, dass diese Staatsanleihen nicht an Wert verlieren (etwa durch eine starke Dollar-Abwertung), während die US-Regierung zur Vermeidung von Kursstürzen alles daran setzen muss, China von einem strategischen Verkauf der Papiere abzuhalten. Die beiden Supermächte sind also über die Finanzmärkte stark aneinander gebunden. Dies dürfte die Bereitschaft zur politischen Kooperation maßgeblich beeinflussen. Selbstverständlich spiegelt diese Einschätzung der Globalisierung einen sehr westlichen Standpunkt wider. Wer seine Familie hingegen trotz Ganztagsjob von den Müllkippen Manilas ernähren muss oder in Haiti seine Existenzgrundlage aufgrund billiger US-Reisimporte verliert, trägt die eigentlichen Kosten der bisher zutiefst ungerecht verlaufenden Globalisierung.

bsz: Jürgen Born, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Das Interview führte Ulrich Schröder.

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