Gibt es den Weihnachtsmann?
Wir wissen ja, dass Weihnachten die Zeit ist, in der Menschen aller Nationen und Religionen die Geburt unseres Erlösers Jesus Christus feiern. In Deutschland meist, während sie von ihrer Familie bekocht werden und nachdem sie einzelnen Branchen in zwei Monaten 20 bis 30 Prozent ihres Jahresumsatzes beschert haben. Wir wissen weniger, dass das nicht etwa schon seit 2.000 Jahren so passiert, sondern eine Erfindung des Viktorianischen Zeitalters ist, ebenso wie die Pornographie.
Wir sollten also annehmen, dass es möglich wäre, über dieses dreifaltige Fest unterschiedlicher Meinung zu sein, wie auch über Pornographie, aber dem ist ja nun leider nicht so. Neben den drei Hauptbestandteilen, Lügengeschichten über eine fiktive Geburt, der Hölle/Harmonie eines Familienfestes und dem alljährlichen Weihnachts-Einkaufs-Wahn, ist zumindest heutzutage der Zwangscharakter der ganzen Veranstaltung ebenso unübersehbar wie ärgerlich.
Zwang meint in diesem Zusammenhang nicht nur, dass sich das ganze verdammte Land festlich-kitschig schmückt, im Unicenter eine Krippe steht (inklusive schmuckem Gitterzaun, damit auch niemand das Christuskind stehlen kann) und die Stadtwerke jährlich einen Wettbewerb veranstalten, in dem die schönste elektrische Hausbeleuchtung, na was wohl, genau, Strom gewinnen kann. Zwang bezieht sich eher auf die Tatsache, dass es auch fern von all den Lampen, Kerzen und Tannenzweigen schwierig bis unmöglich ist, sich dem Ganzen zu entziehen. Glaubt ihr nicht? Dann seid doch mal mutig und innovativ und schafft Weihnachten einfach ab. Wie, wollt ihr nicht?
Aber, das ist doch alles nett…
Nach überraschtem Unglauben ist die zweite Reaktion, die Nicht-Weihnachtenden wie dem Autor entgegenschlagen, im Allgemeinen die auf den ersten Blick vernünftig und differenzierend erscheinende Argumentation des aber-dieser-Teil-ist-doch-toll. Dabei wird dann einer der Aspekte herausgepickt und zum Beispiel argumentiert, dass die eigene Mutter einen eben nur noch einmal im Jahr bekocht, und das dann auch noch extra lecker. Oder dass das eigene Budget nicht auf die Geschenke am Jahresende verzichten kann, selbst aber nur das alljährliche Douglas-Alibi, ein generisches Buch oder gar die sprichwörtlichen Socken finanzieren muss. Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, obwohl doch eine nationale Aufgabe, wird nur selten als Grund angeführt, warum das alles toll sei, obwohl dies wahrscheinlich der überzeugendste, im Sinne von allgemein nachvollziehbar, Grund ist.
Das Wunder der Weihnacht
Am Überzeugendsten deswegen, weil Menschen, die ihre Familien nur Weihnachten sehen bzw. mögen, offensichtlich Probleme haben, die es sich vielleicht sogar lohnen würde zu lösen. Welche Rolle in diesem Zusammenhang ein oder, wenn es hoch kommt, zwei Tage im Jahr spielen sollen, selbst wenn an diesen Tagen alle offiziell freundlich, friedlich und besinnlich sind, steht wohl in den sprichwörtlichen Sternen, wenn auch nicht in dem von Bethlehem. Und wenn ich darüber hinaus hier mal schätzen sollte, wie viele Leute sich Weihnachten versöhnen und wie viele zerstreiten, würde auch dies dem Mythos der heiligen Familie sicher Abbruch tun.
Zum religiösen Teil der ganzen Geschichte muss ich glücklicherweise nicht so viel schreiben, seit der Neudefinition des Festes Mitte der 19. Jahrhunderts wird dieser Teil immer weiter an den verdienten Rand gedrängt.
Gib mich Geschenk
Immerhin kann ich am Ende noch zwei ebenso beunruhigende wie unversöhnliche Anekdoten anbieten. Zum Einen die Versicherung, dass entgegen eurer Erfahrung die Kommerzialisierung Weihnachtens in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht zugenommen hat. Eines der Gründungsdokumente der heutigen Form des Festes ist Dickens‘ Weihnachtsgeschichte von 1843. Schon 1850 gibt es dann auch prompt Bücher, in denen sich Charaktere darüber beschweren, „that the true meaning of Christmas was being lost in a shopping spree.“ Die Kommerzialisierung war also immer schon so schlimm wie heute. Die zweite Anekdote bezieht sich auf das berühmte Editorial der Sun von 1897, in dem einem vermeintlich sechsjährigen Mädchen vorgelogen wird, es gäbe den Weihnachtsmann. Es ist das am Häufigsten nachgedruckte Editorial der Welt und beantwortet in dem heutzutage meist ausgelassenen Teil schön pointiert die im Titel aufgeworfene Frage: „Not believe in Santa Claus! You might as well not believe in fairies.“
dek
0 comments