Tristes Einheitsgrau bei dem Blick aus dem Fenster, und mit einem Blick ins Internet sieht man ein, dass es sich bei den drohenden Studiengebühren doch um etwas mehr als einen schlechten Aprilscherz zu handeln scheint. Tolle Aussichten!
Beim Studieren der Sowi-Studienordnung erblickt man zudem obligatorische Praxismodule. Doch warum nicht Glück haben und in den Ferien etwas Asche zusammen bekommen und gleichzeitig einige CPs einstreichen können? Gesagt, getan. Doch wohin? Schließlich sollte ein sinnvoller Zusammenhang zum Studium gegeben sein.
Im Gegensatz zu zahlreichen Studiengängen anderer Fakultäten wie den Rechtswissenschaften und Medizin, sind die Studienangebote der Fakultät für Sozialwissenschaften interdisziplinär gestaltet und nicht auf ein spezifisches Berufsbild ausgerichtet. Folglich fehlt der Praxisbezug. Ebenso mannigfaltig wie die Bestandteile des interdisziplinären Studienganges sind demnach die Optionen, welche berufliche Tätigkeit man nach dem Abschluss des Studiums ausüben möchte: Sei es die wissenschaftliche Forschung oder Lehrtätigkeit, eine Anstellung im PR-Bereich, den journalistischen Werdegang oder eher die Personal- und Unternehmensberatung. Zwar hatte ich einen Überblick über zahlreiche Theorien, jedoch interessierte mich ungemein, wie die aus ihnen resultierenden Forschungserkenntnisse gezielt in der Praxis umgesetzt werden. Problem: Rund ¾ aller Praktika sind unentgeltlich, und der Mensch will seine Zeit zwar effektiv nutzen, muss aber dennoch von irgend etwas leben… Doch ich hatte Glück.
Wer/was ist I.S.T.?
Während der vorlesungsfreien Zeit machte ich ein zweimonatiges Praktikum bei Intelligenz System Transfer (I.S.T.) in Essen, einem psychologischen Institut im Rahmen der Personal- und Unternehmensberatung. Die Kernkompetenzen des Unternehmens konzentrieren sich auf die Organisations- und Unternehmensberatung bei der Personalauswahl und –entwicklung, sowie darüber hinaus auf einzelne Projekte aus dem Feld der Architekturpsychologie. Im Bereich Personalwesen stützt sich die Arbeit des Fachinstituts auf das psychologische Messverfahren Jobfidence®. Dieses standardisierte psychologische Verfahren misst sechs berufsspezifische Leistungsfaktoren: die Intelligenzanpassung und –organization, die Umstellungsbereitschaft eines Menschen, seine Leistungsmotivation, Stressstabilität sowie letztendlich die Hartnäckigkeit in der Zielverfolgung.
„Kaffee kochen können wir selbst – Sie sollen hier etwas lernen!“
Meine Aufgaben während des Praktikums waren nach intensiver Einarbeitung in die Verfahren, die selbstständige Durchführung und Auswertung des Jobfidence®-Messverfahrens, die Interpretation der Ergebnisse und deren Implikationen sowohl für Kunden wie auch Testteilnehmer und das Führen von Rückmeldegesprächen mit den BewerberInnen und deren psychologische Beratung. Dies geschah in erster Linie im Rahmen der auswärtigen Jobfidence-Veranstaltungen in Hotels für renommierte Unternehmen wie Lifta und Thyssen Krupp. In den Essener Räumlichkeiten testeten wir während meines Praktikums neben potentiellen PraktikantInnen auch zahlreiche KandidatInnen, die sich auf den Vorstandsposten von der Essener Allbau AG bewarben.
Im Rahmen der Erstellung eines Seminars zum Thema „Persönlichkeit“ für Führungskräfte von Thyssen-Krupp in Spanien war ich zudem mit der Literaturrecherche, sowie der Ausarbeitung und konkreten Darstellung des Seminarskripts, die Auswahl praktischer Übungen und den damit verbundenen Lernzielen und einzelner Kapitel beauftragt.
Fazit:
Das Praktikum bei I.S.T. hat mir eine Menge gebracht, und ich kann nur jedeR/M empfehlen, sein/ihr Studium damit zu bereichern. Zum Einen handelte es sich um ein nettes internationales Team aus Deutschland, Spanien und dem Senegal. Ein weiterer Umstand für eine lockere und angenehme Arbeitsatmosphäre bestand nicht zuletzt in der Tatsache, dass es sich bei den meisten Teammitgliedern um Psychologen handelte, die genau mit Menschen umzugehen wissen. Bei Praktika in anderen Sparten habe ich schon definitiv andere Erfahrungen gemacht. Gleichzeitig fühlt man sich schon beim ersten Schritt in der Organisationsberatung irgendwie zu Hause, denn bei den Räumlichkeiten handelte es sich keineswegs um ein steriles Büro, im Gegenteil: sondern um eine eingerichtete, gemütliche Altbauwohnung mit komplett eingerichteter Küche, Balkon, Arbeitszimmern, Seminarräumlichkeiten etc. Dort saßen wir und empfingen den Postboten, der uns zu den Stoßzeiten, wenn eine neue Anzeige für z.B. AußendienstlerInnen, Callcenter-MitarbeiterInnen, TrainerInnen und Vorstände geschaltet wurde, mit reichlich Bewerbungen versorgte. Es war extrem interessant zu sehen, wer sich alles auf eine Stelle bewarb, wer und warum dieser eine Absage bekam oder eingeladen wurde, wer später genommen wurde und warum nicht. Vor allem wichtig als StudentIn: Denn das lernte man bei dem Praktikum verdammt schnell: Wie eine gute Bewerbung auszusehen hat und wie besser nicht. Denn wir bekamen wirklich alles: Von Pflichtbewerbungen für das Arbeitsamt, über Bewerbungen von frischen AbsolventInnen, Vorständen, rüstigen RentnerInnen, die mit knapp 80 jungen Jahren noch eine Stelle suchten und aus der JVA! Von handgeschriebenen Bewerbungen ohne jegliche Belege des Lebenslaufes, über gefälschte, selbstgeschriebene Firmenzeugnisse, Vorstandsbewerbungen mit knapp 30 Fehlern allein im Anschreiben, hoch gelobte Formatierungskenntnisse, die leider nicht ausreichten, den eigenen Lebenslauf zu formatieren und und und….
Insgesamt gewann ich während der zwei Monate einen umfangreichen, tiefen Einblick in organisations- und arbeitspsychologische Fragestellungen und Tätigkeitsfelder, da ich an allen in dieser Zeit laufenden Projekten teilnehmen konnte.
jbö
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