Sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen ist ein heutzutage in unserer Gesellschaft allseits bekanntes, aber dennoch, auch wenn hier und dort einige kritische Stimmen laut werden, beinahe gänzlich tot geschwiegenes (Tabu-)Thema. Nach Schätzungen des Bundeskriminalamtes werden jährlich 200.000 bis 300.000 Kinder sexuell missbraucht. Dazu kommen noch 11.000 bis 13.000 Vergewaltigungen, die zur Anzeige gebracht werden. Die Dunkelziffer, d.h. die Anzahl der nicht angezeigten Taten, ist weiterhin ungewiss, liegt aber definitiv um ein Vielfaches höher.
Auch wenn man (in der Presse) fast immer davon hört, dass eine Person von einem Fremden missbraucht wurde, so stammen die meisten Täter aus dem näheren Umfeld des Opfers, sind Verwandte oder Bekannte, Onkel, Väter, Brüder, selten auch Mütter und Tanten. Die Vertrauensbasis wird aufs Brutalste ausgenutzt, um die eigenen, oft abartigsten Phantasien, auszuleben. Ohne Rücksicht auf das (weitere) Leben des Opfers.
Der jeweilige Tathergang ist immer ein anderer, doch gibt es überall Ähnlichkeiten. Auf der Seite des Vereins gegen sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen „Wildwasser Bochum e.V.“ findet man eine kleine Auflistung: „Täter ziehen das Kind oder die Erwachsene mit ihren Blicken aus, zeigen ihnen pornographische Filme, fordern sie auf, sie anzufassen oder sich auf sie draufzulegen, wollen sie ohne Kleidung fotografieren, machen Bemerkungen über ihren Körper, fassen sie zwischen den Beinen, am Po oder an der Brust an, stecken ihnen den Penis, einen Finger oder andere Gegenstände in die Scheide, den Po oder in den Mund, …“. Worte, die niemand gerne hört oder liest, die aber die bittere Wahrheit darstellen.
Spielend ins Unglück
Nicht selten wird den Opfern während der Vergewaltigung oder danach auch noch eingeredet, dass sie ja selbst Schuld seien. Man sei mitgegangen, habe mitgespielt oder den Täter durch Blicke, Kleidung, oder ähnliches provoziert bzw. geradezu dazu aufgefordert (z.B. die Kombination aus Minirock, Schminke und einem freundlichen, unschuldigen Lächeln). Was für eine schwachsinnige Behauptung dies ist, liegt auf der Hand. Niemals ist das Opfer schuld an dem Leid, welches ihr/ ihm angetan wird!
Doch wissen oder glauben diese Tatsache nur die Wenigsten. Selten trauen sie sich das Schweigen zu brechen und den Täter anzuzeigen. Die Angst und das Schamgefühl sind einfach zu groß. Die eigene Würde ist irreparabel gebrochen. „Man wird nie wieder so, wie man vorher war. Man ist ein ganz anderer Mensch, lebt in einer anderen Welt.“, schreibt eine Betroffene in einem offenen Brief an den Verein, „Die Opfer haben dagegen (gegenüber den lachhaften Strafen der Täter, Anm. d. Red.) meist lebenslänglich!“.
Der Verein dazu: „Die traumatischen Erfahrungen durch sexuellen Missbrauch in der Kindheit bedeuten folgenschwere Eingriffe in die Persönlichkeitsentwicklung der Mädchen und Frauen, die lebenslängliche Spuren hinterlassen.“
Der Täter ist an der Handlung schuld, niemals das Opfer
Der Verein „Wildwasser Bochum e.V.“ wurde 1990 gegründet und verdankt seinen Namen der allerersten Beratungsstelle zu sexueller Gewalt in der BRD, dem Berliner Verein Wildwasser. Dieser in den 80er Jahren durch eine Gruppe Frauen entstandene Verein hatte sich amerikanische und britische Selbsthilfe- und Therapiekonzepte zum Vorbild genommen. Da sexueller Missbrauch von Frauen und Kindern damals noch kein Thema war, zeigte sich sehr bald, dass großer Bedarf an Aufklärung von Nöten war. Die Nachfrage nach dieser Beratungs- und Informationsstelle erwies sich als enorm, zumal als die Einzige in der ganzen BRD. Im Laufe der Jahre eröffneten weitere Wildwasser-Vereine im ganzen Land, die, so unterschiedlich auch die Angebote sind, ihr Hauptziel darin sehen, Mädchen und Frauen, die sexualisierte Gewalt erlitten haben oder sogar immer noch erleiden, zu helfen und ihnen beizustehen. Seit 1995 erst bewohnt der Bochumer Verein eigene Räumlichkeiten in Langendreer-West, seit 1998 finanziert das Land eine halbe Stelle für eine Dipl. Sozialpädagogin, seit 2003 eine weitere Stelle durch die Kommune. Abgesehen von immer wiederkehrenden Planungen, die Gelder für solche Fachberatungsstellen in NRW zu streichen, muss der Verein Wildwasser Bochum e.V. kontinuierlich nach Förderern suchen, da er so oder so nur teilweise öffentlich finanziert wird.
Mithelfen ist angesagt!
Das Angebot spricht verschiedene Aspekte an: Es gibt Angebote für Mädchen und Frauen, die Opfer von sexuellem Missbrauch waren oder sind, wie z.B. telefonische Beratungszeiten (dienstags von 15 – 17 Uhr und Donnerstags von 10 – 12 Uhr), persönliche Gespräche oder Unterstützung bei der Suche nach einer geeigneten Therapie, Angebote für Bezugspersonen, die von sexuellem Missbrauch unmittelbar betroffen sind, wie Information und Beratung, sowie Mütterselbsthilfegruppen, Beratung bei der Beantragung von Opferentschädigung, Angebote für Interessierte an Selbsthilfe, für Mädchen und Frauen mit Psychiatrieerfahrung, mit Behinderung und für psychosoziale Fachkräfte und Fotbildungsinteressierte.
Trotz der geringen finanziellen Mittel leisten die MitarbeiterInnen ausgezeichnete Arbeit und bemühen sich ihr Angebot stetig auszuweiten.
Zu den Kooperationspartnern gehört u.a. der Verein „NORA e.V.“, eine Beratungsstelle für Frauen und Mädchen, welcher seinen Schwerpunkt in die Beratung in Lebenskrisen und Notsituationen gelegt hat, als UnterstützerInnen sind die Stadtwerke Bochum und die Vagina Monologe (die bsz berichtete, Anm. d. Red.) tätig.
Wer sich noch weiter informieren möchte, findet unter www.wildwasser-bochum.de eine große Auswahl an Material und auch die Möglichkeit Fördermitglied zu werden.
aw
„Wildwasser – ein Symbol für die
Eigenschaften, die wir stärken wollen:
Kraftvoll, rauschend, brausend
und aufschäumend,
aber auch ruhig und gelassen;
es kann in Farben schillern
und bahnt sich seinen Weg
durch Fels und Gestein.
…genauso werden wir sein.
Wir werden unseren Weg finden.“
(Aus: Mühsam – aber nicht unmöglich)
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