Ab April 1944 war Henryk Mandelbaum sieben Monate für eine der grausamsten Aufgaben im gesamten Lager zuständig. Gemeinsam mit anderen durchweg jüdischen Häftlingen musste er die vergasten Leichen aus der Gaskammer holen, nach Wertgegenständen und Goldzähnen durchsuchen und zum Ende in den Krematoriumsöfen der Firma Topf & Söhne aus Erfurt verbrennen. Während seiner Arbeit im Sonderkommando erreichten die Massentransporte mit ungarischen Juden das Vernichtungslager. Innerhalb von nur drei Monaten wurden über 400.000 Menschen durch die SS getötet.
Der Aufstand des Sonderkommandos fand ebenfalls während seiner Zeit im Lager statt. In einem der Krematorien brach eine Revolte aus – die Häftlinge brachten mehrere SS-Männer um und flohen aus dem Lager. Die anderen Krematorien wurden von der SS rechtzeitig erreicht, so dass diese sich dem Aufstand nicht anschließen konnten. Das Krematorium IV konnte jedoch teilweise zerstört werden. Henryk Mandelbaum beschrieb die Konsequenzen: „Alles brannte lichterloh. Aber jemand musste den Aufstand verraten haben. Es starben nur ein paar SS-Männer, aber fast alle Aufständischen. Später mussten sich alle aus dem Sonderkommando auf den Boden legen, und jeder Dritte wurde erschossen.“ Ein weiteres Mal entkam er dem sicheren Tod.
Henryk Mandelbaum gelang die Flucht. Nachdem das Lager kurz vor der Befreiung durch die Rote Armee evakuiert werden sollte, konnten er und andere Sonderkommandohäftlinge sich unter die beginnenden Todesmärsche mischen. Unterwegs gelang es ihm dann, sich bei der Zivilbevölkerung zu verstecken und so dem weiterhin drohenden Tod endgültig zu entgehen.
Nach Ende des Krieges arbeitete Henryk Mandelbaum bei der Polizei in Polen, jedoch quittierte er dort schnell wieder seinen Dienst. Ich hatte doch nicht Auschwitz überlebt, um mich dann von einem Banditen erschießen zu lassen“, erinnerte er sich. Er heiratete und eröffnete ein Taxiunternehmen im polnischen Gliwice. Gerade nach seinem Ruhestand widmete er sich verstärkt der Arbeit mit Jugendlichen und berichtete im Rahmen von Zeitzeugengesprächen von seiner Zeit im Vernichtungslager.
Wider das Vergessen
Zwar wird von der Geschichtswissenschaft die Funktion von Zeitzeugengesprächen immer wieder – und nicht zu Unrecht – in Frage gestellt. Doch ein Gespräch mit einem Überlebenden bleibt den meisten Jugendlichen mehr im Gedächtnis als diverses in der Schule vermitteltes Wissen. In diesen Gesprächen kann und soll es nicht um historische Genauigkeit gehen, sondern um die Vermittlung des Geschehens aus dem Munde derer, die es erlebt haben.
Auch Henryk Mandelbaum war getrieben von dem Wunsch, seine Geschichte möglichst vielen Jugendlichen zu berichten. „Man muss das doch alles wissen, man muss doch wissen, wie lange die Leute in die Gaskammer gewesen sind. Man muss wissen, wie lange sie gebrannt haben in den Öfen“, so Mandelbaum.
Noch bis kurz vor seinem Tod war Henryk Mandelbaum unterwegs. Er kam von einer Reise aus Österreich zurück, als sich sein Gesundheitszustand verschlechterte. Er unterzog sich einer schweren Herzoperation, an deren Folgen er nun verstarb. Sein unermüdlicher Einsatz, die Grauen von Auschwitz nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, wird eine große Lücke in der Arbeit der Gedenkstätte Auschwitz entstehen lassen.
Sein Anliegen jedoch kann weiter getragen werden. Vor einer Schulklasse soll Henryk Mandelbaum gesagt haben: „Ich bitte euch um eins: Lasst euch von niemandem, von niemandem auf der Welt einreden, wen ihr zu lieben und wen ihr zu hassen habt.“
tm
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