Die Polizei führte die Razzien mit äußerster Brutalität durch. Zu früher Morgenstunde brach sie Wohnungen auf, ohne den Beschuldigten zuvor die Chance zu geben, den Beamten freiwillig zu öffnen. Anschließend wurden die TierschützerInnen gewaltsam verhaftet, die Wohnungen durchwühlt, Privateigentum grundlos beschädigt und auch Dinge des täglichen Bedarfs ohne rechtsstaatliche Begründung beschlagnahmt. Ob Artikel wie Zahnbürsten zur Ermittlung der DNA der Verdächtigen genutzt wurden, ist bislang nicht geklärt. Zudem wurde ihnen zunächst anwaltliche Unterstützung untersagt. Stattdessen informierte die Polizei umgehend die Presse, um breite Zustimmung für ihr Vorgehen zu gewährleisten, bevor sich die betroffenen Vereine selbst dazu äußern konnten. Zehn TierschützerInnen sitzen seit nunmehr drei Wochen hinter Gittern. Erst Freitag wurde die Haftzeit um weitere vier Wochen verlängert. Die offizielle Begründung für die Fortsetzung der Untersuchungshaft lautet „Gefahr der Tatwiederholung“ – ohne konkrete Vorwürfe erscheint dieses Argument jedoch mehr als unglaubwürdig.
Der „Mafia-Paragraph“
Als Grundlage für ihr Handeln nutzt die Polizei den Paragraphen 278a, der im österreichischen Volksmund auch als „Mafia-Paragraph“ bekannt ist. Er soll das Volk präventiv vor Anschlägen „krimineller Organisationen“ schützen und kann so auch wie in diesem Fall zur Umgehung allgemein anerkannter juristischer Grundlagen wie der Unschuldsvermutung dienen. Während dieser Paragraph auch in Bezug auf Terrorismus und organisierte Kriminalität schon mehr als fragwürdig erscheint, ist seine Anwendung im Bezug auf TierschützerInnen ein weiterer Skandal. Es steht außer Frage, dass es auch im Zuge der Tierschutzbewegung zu illegalen und gewalttätigen Übergriffen kam. Diese richteten sich jedoch ausschließlich gegen Gegenstände oder beispielsweise leerstehende Schlachtbetriebe. Erfüllt ist also höchstens der Tatbestand der Sachbeschädigung, von einer akuten Gefahr – die präventives Handeln erfordert – kann also nicht die Rede sein. Auch wenn Straftaten von TierschützerInnen trotz „ehrenhafter Absichten“ zu verfolgen wären, ist eine Verhaftungswelle gegen führende Mitglieder der Tierschutzszene unverhältnismäßig und mit rechtsstaatlichen Idealen nicht vereinbar.
amnesty schaltet sich ein
Neben breiter Unterstützung innerhalb der Tierrechts- und Tierschutzszene für die Inhaftierten, schalteten sich auch weitere Instanzen in die Diskussion ein. So veröffentlichte „amnesty international“ am vergangenen Mittwoch eine Erklärung, die das Vorgehen der Polizei eindeutig missbilligt und die rechtstaatliche Grundlage hierfür in Frage stellt. Auch Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek zeigte sich solidarisch mit den TierschützerInnen und äußerte sich zu den Geschehnissen bei einer Pressekonferenz der Grünen in Österreich. Stellungsnahmen von Greenpeace und weiteren Organisationen werden in diesen Tagen erwartet. Sieben der zehn inhaftierten TierschützerInnen traten nach der Festnahme in den Hungerstreik, um gegen die polizeiliche Willkür zu demonstrieren. Zum Teil befinden sich die Beschuldigten noch immer im Hungerstreik und werden künstlich ernährt.
Gespräch mit einer Betroffenen
Wir sprachen mit der ehemaligen RUB-Studentin Hella Camargo, der Assistentin von Jürgen Faulmann. Faulmann ist Kampagnenleiter von „Vier Pfoten“, war bis 2006 für „Peta Deutschland“ in ähnlicher Position aktiv und wird seit drei Wochen von der Polizei festgehalten. „Es ist mehr als schockierend, dass mein Chef plötzlich hinter Gittern sitzt, obwohl er nichts getan hat und die Staatsanwaltschaft offenbar auch nichts in der Hand hat“, sagt Hella Camargo und setzt fort: „Als ich ihn endlich im Gefängnis besuchen durfte, habe ich ihn kaum erkannt – so bleich und schwach sah er aus. Zu der körperlichen Schwäche kommt seine Resignation, dass unsere gesamte Arbeit durch dieses willkürliche und kriminelle Handeln der Polizei in Frage gestellt wird. Für ihn ist es bis heute unvorstellbar, dass solche Unmenschlichkeiten in einem freien Land wie Österreich möglich sind.“ Schockierend ist auch die breite mediale Nichtbeachtung des Themas. Während die Menschenrechtsverletzungen in Tibet im Zuge der Olympischen Spiele in China stärker ins Licht der Öffentlichkeit gelangten, sind Menschenrechtsverletzungen in Österreich offenbar trotz der aktuell stattfindenden Fußball-Europameisterschaft im Ausland vollkommen uninteressant. Sogar in Österreich selbst findet das Thema nur wenig Beachtung in den Medien. Hella Camargo überrascht das nur wenig: „Der Tierschutz war in den letzten Jahren sehr erfolgreich in Österreich und dies ist natürlich ein Dorn im Auge der Tierausbeutungsindustrie.“ Verbindungen zwischen der Jägergemeinschaft und hohen politischen und polizeilichen Kreisen sind seit Jahren in Österreich bekannt. Dies öffnet massivem Anti-Tierschutz-Lobbyismus natürlich Tür und Tor.
Ausblick
Wie lange die Polizei die TierschützerInnen noch ohne konkreten Tatverdacht festhalten will, ist nicht genau abzuschätzen. Man hofft eventuell weiter darauf, durch illegal erworbenes Beweismaterial nachträglich das massive Vorgehen rechtfertigen zu können. Hella Camargo von „Vier Pfoten“ befürchtet, dass „der Tierschutz den wirtschaftlichen Interessen einiger Weniger zum Opfer“ fallen könnte. „Es gibt keine breite Gegenöffentlichkeit, welche die aktuellen Aktionen der Polizei und den allgemeinen Lobbyismus gegen den Tierschutz anprangert.“ Die Tierschützerin hat jedoch Hoffnung: „Wir rechnen in den nächsten Tagen mit weiteren Stellungnahmen, die dem Beispiel von amnesty international folgen werden. Auch die öffentliche Wahrnehmung scheint langsam zu unseren Gunsten zu kippen.“ Dass auch die internationale Öffentlichkeit (oder immerhin die Medien in den direkten Nachbarstaaten) das Thema noch entdecken und diesen beispiellosen Justizskandal thematisieren, gilt jedoch als unwahrscheinlich.
jk
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