Donnerstag, 12 Uhr. Der Dalai Lama ist angekommen, und vor der Empfangshalle des Bochumer Renaissance Hotels bildet sich eine erste Menschentraube. Gut zwei Dutzend JournalistInnen warten. In weniger als zwei Stunden sollen NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und Bundestagspräsident Norbert Lammert (beide CDU) zum Gespräch mit „seiner Heiligkeit“ eintreffen. Die nächsten öffentlichen Termine: Am Freitag steht der Eintrag in das „Goldene Buch“ der Stadt an, anschließend eine Pressekonferenz im Rathaus. Dann: Ein Treffen mit den Kindern und Eltern des Kindergartens der katholischen Gemeinde St. Nikolaus in Wattenscheid. Anschließend sieht die Choreographie ein „Bad in der Menge“ vor – die massenhaft wartenden Schaulustigen sind fest eingeplant. Ab 13 Uhr: Auftritt im RuhrCongress vor zahlenden Gästen.
Als die MitarbeiterInnen der NRW-Staatskanzlei angerauscht kommen, wird es unruhig. Eine PR-Expertin des Ministerpräsidenten erklärt, nur ein Redakteur der Deutschen Presseagentur dürfe dem Dalai Lama drei Fragen stellen, und FotojournalistInnen könnten aus „Platzgründen“ nicht die Begegnung „seiner Heiligkeit“ mit dem Ministerpräsidenten ablichten. Die Staatskanzlei werde aber entsprechendes Fotomaterial zur Verfügung stellen. Die JournalistInnen schimpfen über das Angebot der „Propagandafotos“ und „chinesische Verhältnisse“ in Bochum. Die Staatskanzlei verweist auf das Genfer Büro des Dalai Lama, das die Bedingungen diktiert habe.
In Flip Flops für den Weltfrieden?
Letztendlich können einige JournalistInnen doch Schnappschüsse von dem 72-jährigen Flip-Flop-Träger schießen – trotz der missmutigen Dalai-Lama-Security. Die harmonische Inszenierung stört das kaum: Als Jürgen Rüttgers vor die Presse tritt, stellt er fest: „Das tibetische Volk hat unsere Solidarität verdient.“ Norbert Lammert sagt, wo immer Menschenrechte verletzt würden, müssten alle Demokraten aktiv werden, nicht nur im eigenen Land. Das gelte besonders für Deutschland, schließlich habe die Demokratie hier auch nur durch Freunde Einzug erhalten. Immerhin: Die Bombardierung Chinas ist vorerst nicht geplant; es geht nur um Diplomatie, auch wenn Lammerts Rhetorik wie aus dem Afghanistan- oder Jugoslawienkrieg klingt.
Szenenwechsel. Vor der St. Nikolaus-Kirche haben sich nur etwa 500 Schaulustige versammelt – die Polizei hatte mit bis zu 5000 gerechnet. Prompt fällt das „Bad in der Menge“ aus, nachdem sich der oberste tibetische Mönch in der Kirche lachend Arm in Arm mit den Kindergartenkindern hat ablichten lassen. Der Besuch im Bochumer Rathaus war zuvor auch nur fast ganz planmäßig verlaufen: Ein Korrespondent der staatlichen Nachrichtenagentur Chinas stellte Fragen nach der Glaubwürdigkeit des Dalai Lama und gab der deutschen Presse selbst Interviews. Trotzdem zeigte sich Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz (SPD) ganz, ganz stolz über den Besuch.
Der Dalai Lama ist ein gutes Geschäft
45 Euro und mehr haben die über 3.000 BesucherInnen bezahlt, um im RuhrCongress der Rede des Dalai Lama zu lauschen. Vermarktet wurde der Auftritt über jene Vertriebswege, auf denen normalerweise Karten für Popkonzerte feilgeboten werden. Hessens Ministerpräsident Robert Koch durfte ein paar Begrüßungsworte sprechen, Peter Maffay singen, Sandra Maischberger moderieren. In der medial inszenierten Aura des 72jährigen können sich alle sonnen, die sowieso schon Rang und Namen haben. Was der Dalai Lama während seines Bochum-Aufenthalts zu verkünden hatte, ist dagegen keine Attraktion: Es komme nicht auf die äußere, sondern auf die innere Schönheit an. Auf deutsche Staubsauger könne man stolz sein. Die Reichen würden immer reicher, die Armen immer ärmer.
In der Presse nix Neues
Der Dalai Lama fordere nicht die Loslösung von China, sondern nur eine weitgehende Autonomie – diese Schlagzeile verkaufen die Presseagenturen, als sei das eine Neuigkeit. Dass die tibetische Exilregierung das Ziel der Unabhängigkeit schon vor mehr als einem Jahrzehnt offiziell aufgegeben hat, stört da nicht. Auch die Nullmeldung „Dalai Lama fordert mehr Demokratie“ kann so verpackt werden, als handle es sich um eine Nachricht. Kritischen Fragen – etwa danach, wie sich die Demokratieforderung mit den theokratisch-feudalistischen Zuständen verträgt, welche in Tibet herrschten, als der 14. Dalai Lama noch der Souverän des Landes war – musste sich der Gast kaum stellen. In Rage geriet er nur, als vor dem RuhrCongress mehrere hundert buddhistische Mönche für Religionsfreiheit demonstrierten. Weil sie zu dem Schutzgott Shugden beteten, seien sie aus den Klöstern vertrieben worden, sagen sie.
Jedes Spiel hat 90 Minuten
Seine Bedeutung erhält der Besuch des Dalai Lama nicht durch das, was seine Pop-Heiligkeit sagt, und auch nicht durch die Schaulustigen oder durch die GegendemonstrantInnen. Ähnlich wie bei anderen inhaltlich fragwürdigen Pop-Veranstaltungen war es der politische und kulturelle Mainstream, der sich durch das Ereignis selbst inszenierte und bestärkte. Oder mit anderen Worten: Der Dalai-Lama-Besuch in Deutschland war die passende Ouvertüre für die Fußball-Europameisterschaft, während derer wohl auch Bochum wieder in einen kollektiven nationalen Taumel stürzen wird.
„Verklärt, verkitscht – Hollywood feiert den Dalai Lama“
http://daserste.ndr.de/panorama/media/dalailama74.html
Rolf van Raden
0 comments