Lynchjustiz: Jetzt sind alle gefordert
Eins muss klar sein: Bahn fahren ist heutzutage (heutzutage!) kein Spaß mehr. Die bsz macht sich ab nächster Woche trotzdem für euch (für euch!) auf den steinigen Weg quer durch das wunderschöne NRW.
Lustig: Seit einigen Wochen wird der/die Bahnfahrerin auf der Linie U35 nicht mehr nur durch die Unterhaltung der Mitreisenden verstört (siehe: Bingo!), sondern auch durch die neuen, witzigen Ansagen des Varieté et cetera. Dieses möchte damit auf ein neues Showprogramm aufmerksam machen, welches wir hier selbstverständlich aufgrund eben dieser Witzigkeit nicht nennen und so der ausgefeilten Werbemaßnahme ein Schnippchen schlagen. Dabei wissen wir nicht, wie der Deal überhaupt zustande kam. Ist das Varieté mit dieser schamlosen Idee auf die Bogestra zugekommen, oder hat vielmehr die Bogestra derlei Kinkerlitzchen in Auftrag gegeben, um endlich ihr angestaubtes Image loszuwerden? Wie gesagt, wir wissen es nicht. Aber eins muss dennoch klar sein: Das Image der Bogestra hat angestaubt zu sein und nicht anders. Denn die lokalen öffentlichen Verkehrsbetriebe sollen uns von einem Ort zum anderen befördern, lustig sein dürfen nur Mario Barth, Kurt Beck und Lothar Matthäus. Das aber ist den Beförderungsunternehmen offenbar völlig aus dem Blickfeld geraten. Groben Unfug gibt es etwa auch in Düsseldorfer Verkehrsmitteln der Rheinbahn zu bestaunen, wo die Fahrgäste mittels Flachbildschirmen mit informativen Videonachrichten konfrontiert werden. Diese Idee hatten die Witzbolde der Berliner Verkehrsgesellschaft natürlich schon wesentlich früher. Der Trend zu akustischer Belästigung stammt aber, allen Erwartungen entgegen, nicht aus Berlin. Vielmehr hatten die Hamburger bei derlei Humbug die Nase vorn und lassen ihre Ansagen von kleinen Kindern sprechen. Und so gerät also nicht mehr das Fliegen zum größten Transportabenteuer, sondern die Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr. Nicht nur der behördliche Mumpitz, vermutlich von Betriebsräten auf Lustfahrten ins sonnige Italien ersonnen („Wir müssen irgendwie frischer werden, Corporate Identity sag ich! Sag am Montag der Frau S., dass die sich da mal was Frech-Flottes ausdenken soll.“), sondern auch die Teilnahme an allerlei Events, an denen man gar nicht teilnehmen will.
„Vergnügter Breisgauer“ und „Fröhlicher Siegerländer“
Unversehens trifft der unbescholtene Fahrgast im Regionalexpress auf massenhaft Akteure der Loveparade, zweihundert trunkene Fussballfans, einen Pulk Chefsekretärinnen am 11. November (Hühner auf dem Kopf tragend und den Arsch voll Prosecco, den Beginn der fünften Jahreszeit begehend), und kann sich dem Geschehen auch mit Oropax, tragbaren Musikabspielgeräten und Lektüre nicht entziehen. Ganz arme Tröpfe steigen versehentlich in den Tanzzug „Vergnügter Breisgauer“ oder „Fröhlicher Siegerländer“. Natürlich kann es auch im Flugzeug passieren, dass der Fluggast sich neben randalierenden Bandmitgliedern, einer Fußballmannschaft der dritten Liga oder einer Horde Junggesellenabschiedsbegehender mit südlichem Flugziel wiederfindet. Und obwohl auch das Fliegen heutzutage (heutzutage!) keine exklusive Angelegenheit mehr ist, bei der sich höchstens zwei windige Entrepreneure in grauen Anzügen wissend und diskret zunicken, sondern auch andere gesellschaftliche Milieus Zugang zum nicht mehr so teuren Flugverkehr erlangen, ist der Unterschied doch groß: Fluggäste sind eher von Absturzängsten eingeschüchtert, die sie daran hindern, wahllos fremde Passagiere anzukommunizieren, und treten in weniger großen Horden auf. Zwar übernehmen die schamlosen Kapitalistinnen im Stewardessgewand die ungewollte Kommunikation, aber darauf ist der versierte Fluggast eingerichtet. Der Bahnfahrende ist es nicht.
Und so wird nicht nur das Fahren mit der Transsibirischen Eisenbahn zum Abenteuer, auf das der Bildungsbürger (und auch: die Bildungsbürgerin) aufgrund der mangelnden Exklusivität des Flugverkehrs schon lange umgestiegen ist, sondern vor allem die Reise mit dem Öffentlichen Personennahverkehr. Und hier können wir endlich von unseren osteuropäischen Freunden (und auch: Freundinnen) lernen: Wieviel zauberhafter wäre es doch, stiege der ein oder andere Fahrgast an der Brenscheder Straße aus, um auf dem Bahnsteig ein von russischen Mütterchen feilgehaltenes halbes Schwein zu kaufen, dass während der Weiterfahrt im Feuer des Samowars geröstet wird, und böte den Mitfahrenden hin und wieder eine Schlückchen Wodka an. Des Weiteren hätten wir Ruhe vor Flachbildschirmen, witzigen Ansagen und anderem Unfug. Da die EU-Integration noch nicht so weit ist, müssen wir erst einmal selbst unser Schicksal in die Hand nehmen. Also auf ins nächste Waffengeschäft, rasch die Mikrouzi erstanden und beim nächsten „An der nächsten Haltestelle können Se schlau werden: Das ist die Ruhr- Unneversitett.“ einfach beherzt auf den Lautsprecher zielen, abdrücken und die anschließende Ruhe genießen.
Benz, sjn
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